Patrick Heidmann im Interview mit David Oyelowo

The 21st Annual Hamptons International Film Festival Day 3

»David Oyelowo«

Der 1976 in Oxford geborene Brite mit nigerianischen Vorfahren begann seine Schauspielkarriere auf der Bühne, arbeitet seit 1998 aber auch mit großer Regelmäßigkeit im Kino und fürs Fernsehen. Unter anderem spielte er in Lee Daniels’ (dem zunächst für Selma vorgesehenen Regisseur) Paperboy und The Butler. Die Regienewcomerin Ava DuVernay besetzte ihn 2012 in Middle of Nowhere, um dann für Selma und die Rolle von Martin Luther King auf ihn zurückzukommen

epd Film: Mr. Oyelowo, hier im Gespräch hört man ganz eindeutig, dass Sie aus Großbritannien kommen. Sorgte es in den USA für Ärger, dass ausgerechnet ein Engländer Martin Luther King verkörpert?

David Oyelowo: Den Eindruck hatte ich nicht. Wütend wäre man dort vermutlich nur geworden, wenn der Film nicht funktioniert hätte. Mir war natürlich klar, dass ich mich mit der Rolle einem gewissen Druck und Risiko aussetze. Aber glücklicherweise habe ich schon Amerikaner gespielt, und auch hier sehr hart daran gearbeitet, dass man mir die Tatsache, dass ich Engländer bin, auf keinen Fall zum Vorwurf machen kann. Bislang scheint es mir, als sei ich damit durchgekommen.

War es denn gerade das Risiko, eine solche historische Ikone zu spielen, das Sie an der Rolle gereizt hat?
Sicherlich auch. Aber gerade weil ich eben kein Amerikaner bin, habe ich dieses Risiko selbst kaum bewusst empfunden. Obwohl ich Dr. King immer bewundert habe und weiß, wofür er steht, ging ich an die Rolle nicht aus einer Position heran, die mir eine wirkliche Annäherung vor lauter Respekt unmöglich gemacht hätte. Viele Afroamerikaner können von sich behaupten, dass ihr Großvater noch mit ihm marschiert ist oder ihre Großmutter neben einem Bild von Jesus auch eines von King auf dem Nachttisch stehen hatte. Das war bei mir nicht der Fall.

Hatten Sie dennoch einen persönlichen Bezug zu ihm?
Ich teile seinen christlichen Glauben und fand darüber auch auf Anhieb einen Zugang zu ihm, als ich das Drehbuch las. Ich teile auch seine Überzeugungen, die aus diesem Glauben hervorgingen. Ich bewundere aufopfernde Liebe. Ich bewundere den Gedanken, dass Liebe eine Waffe gegen Hass sein kann. Das sind alles Dinge, die mich beeindrucken und über die ich nicht nur sprechen will, sondern nach denen ich auch leben möchte. Deswegen war es mir so wichtig, King als Menschen zu zeigen und nicht als Ikone, als die er sich ja auch selbst nicht gesehen hat.

Sie haben zur Vorbereitung mit vielen noch lebenden Wegbegleitern Kings gesprochen.
Das Wichtigste dabei waren die Einblicke, die ich in Kings Menschlichkeit bekommen habe. Diese Leute waren seine Freunde, sie kannten ihn als Witzbold, er lachte gern, war manchmal unsicher. Das sind alles Dinge, die einen überraschen: Dr. King ein Witzbold? Unsicher? Dadurch, dass wir das zeigen, kann man sich auch als Zuschauer in ihm wiedererkennen – und so realisieren, dass in jedem von uns das Potenzial zu solcher menschlicher Größe steckt. Egal, wer oder was wir sind.

Glauben Sie, dass wir heute noch jemanden wie King brauchen würden?
Na ja, ich denke, wenn man uns einen zweiten Dr. King gäbe, würden wir nicht Nein sagen. In Amerika finden gerade jetzt viele Proteste statt, zum Beispiel hinsichtlich Fergusons oder des Freispruchs für den Polizisten, der Eric Garner getötet hat. Doch was dort heutzutage fehlt, ist eine klare Artikulation dessen, was die Protestierenden überhaupt wollen. Sicher, alle sind wütend. Aber was genau sind die Forderungen? Dr. King war so brillant, weil er den Demonstrationen wie damals in Selma eine Richtung und eine Stimme gab. Ich sehe heute niemanden, der etwas Ähnliches tut.

Also fehlt ein neuer Martin Luther King?
Nein, denn jemanden wie ihn oder Mandela oder Gandhi gab es nur einmal. Das waren einzigartige Individuen. Wir können nicht darauf warten, dass wieder jemand wie sie auftaucht. Denn was machen wir, wenn nie wieder so jemand auftaucht? Akzeptieren wir dann Rassismus und Ungerechtigkeit? Nein. Vielleicht sind soziale Medien tatsächlich für eine neue Form von Protest gut, in der man sich sehr schnell Gehör verschaffen kann. Aber wie effektiv das ist, ist eine andere Frage. So oder so: Wir können nicht abwarten, dass uns jemand Veränderung bringt, sondern müssen die Sache selbst angehen.

Sind Sie inzwischen eigentlich amerikanischer Staatsbürger?
Nein, ich lebe dort mit einer Green Card. Aber zwei meiner vier Kinder wurden in Amerika geboren und sind also Amerikaner. Unsere Familie wird immer amerikanischer.

Machen Sie sich Sorgen? Von außen betrachtet wirkt es bisweilen erschreckend, wohin sich die US-Gesellschaft entwickelt . . .
Absolut. Solche Fälle von Polizeigewalt wie in Ferguson zeigen, dass das Leben Schwarzer scheinbar weniger wert ist als das Weißer. Was für eine schreckliche Botschaft! Aber wenn diese Ereignisse etwas Gutes haben, dann dass Amerika sich endlich bewusst ist, dass wir eben nicht in einer post-rassistischen Gesellschaft leben. Als Obama Präsident wurde, gab es unter den Weißen vielleicht die Vorstellung, dass jetzt alle Schulden getilgt seien. So nach dem Motto: Jetzt habt ihr einen schwarzen Präsidenten, also seid zufrieden und lasst uns das Thema Sklaverei ein für allemal vergessen.

So als sei über Nacht alles gut?
Genau. Dabei ist in Wahrheit natürlich noch lange nicht alles gut. Und ich glaube auch, dass manche der sozialen Unruhen, wie wir sie aktuell erleben, sogar damit zu tun haben, dass Amerika einen schwarzen Präsidenten hat. Es gab sicher Menschen, die dachten, dass die ersten vier Jahre so etwas wie ein Unfall waren. Aber noch einmal vier Jahre? Damit scheinen sich einige nicht abfinden zu können, denn ihnen behagt die Vorstellung nicht, dass Teile der Bevölkerung tatsächlich Veränderung wollen.

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