Michael Winterbottom spricht über seinen Film »Die Augen des Engels«

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»Michael Winterbottom«

Du kannst die Wahrheit nicht erzählen, solange Du sie nicht erfindest"

Mr. Winterbottom, »Die Augen des Engels« wurde inspiriert von dem Fall Amanda Knox, die angeklagt wurde, in Italien eine Mitstudentin ermordet zu haben. Sie wurde zunächst freigesprochen, dann verurteilt und erst kürzlich in letzter Instanz freigesprochen. Dem Film geht es aber nicht darum, ob die an Amanda Knox angelehnte Figur schuldig ist oder nicht. War diese Akzentsetzung für Sie von vornherein klar? Oder hatten Sie zu Beginn die Absicht, der Wahrheit auf de Spur zu kommen?

Der Fall erlaubt ganz verschiedene Sichtweisen; bei den Recherchen hat sich zwar der Fokus ein wenig verlagert, aber es ging nie um die Frage, ob sie schuldig ist oder nicht. Im Film selber verschiebt sich das Interesse des Protagonisten, als ihm deutlich wird, dass sein Film ganz Unterschiedliches verhandeln könnte. Als Barbie Latza Nadeau, die die Vorlage für das Drehbuch geschrieben hatte, uns in Rom mit den Journalisten zusammenbrachte und wir sahen, wie erbittert, aber auch argumentativ sie stritten über Schuld und Unschuld, war uns klar, dass dieser Disput selber interessanter wäre.

Im Film fällt einmal der Satz: "Du kannst die Wahrheit nicht erzählen, solange Du sie nicht erfindest". Würden Sie sagen, das ist eine Richtschnur für Ihre ganze Filmarbeit?

Alle meine Filme verbinden reale Geschichten mit fiktiven Elementen. Bei Fiktionen kann man näher herankommen, Aspekte mit einbeziehen, die beim rein Dokumentarischen nicht darstellbar sind. »In this World«, der Film, der zwei Flüchtlingen von Pakistan nach London folgt, basierte auf Recherchen, die wir zuvor angestellt hatten, aber es war ein Spielfilm. Mir gefällt die Idee, dass man Geschehnisse aus der realen Welt verwendet. Barbie erzählte uns, dass sie in ihrem Sachbuch nicht alles sagen konnte, weil sie dann verklagt worden wäre – dieses Problem hatten wir nicht, eben weil wir einen Spielfilm machten.

Es gibt die Figur von Edoardo, die einige Rätsel aufgibt, nicht nur, wenn er sagt, dass er die Wahrheit kenne und bestimmte, etwas abseitige Theorien entwickelt, sondern auch, weil er sich sowohl als journalistischer Blogger betätigt, aber zugleich mehrere Häuser besitzt. Ist diese Figur vollkommen fiktiv oder wurde sie inspiriert von realen Personen aus dem Umfeld des Prozesses?

Barbie erzählte uns von einem Blogger namens Frank, der einen ähnlichen Blog hatte wie Edoardo im Film, auch ähnlich sprach wie dieser. Diesem Frank haben wir schließlich das Drehbuch gezeigt – es gefiel ihm, er wollte sogar, dass wir die Figur im Film Frank nennen, aber wir meinten, dafür sei sie doch zu fiktional, geprägt von zu viel ausgedachter Paranoia. Also ja, sie basiert auf einer realen Peron, Aber es ist wie mit der von Kate Beckinsale gespielten Figur der Journalistin Simone Ford. Die wurde natürlich inspiriert von Barbie Latza Nadeau, hat aber auch viele fiktionale Züge.

Im Film kommt der Protagonist Thomas zu dem Schluss, dass das, was mit ihm passiert, eine Spiegelung von Dantes „Göttlicher Komödie“ ist. Bei Ihrem vorangegangenen Film »The Look of Love« verknüpften Sie die Geschichte von Paul Raymond mit der "König Midas"-Sage. Welche Konsequenzen haben diese Verknüpfungen für die Erzählung?

In gewisser Weise ist das die Geschichte vom Kuchen essen und ihn gleichzeitig zu behalten. Die Idee mit Dante kam hier dem Drehbuchautor Paul Viragh – auch wenn das vielleicht nicht der richtige Schlüssel zu den Problemen von Thomas ist, erweitert es doch die Perspektive. Jede Art von Mythos kann etwas klarer machen. Bei Dante geht es um die Liebe zu Beatrice als Liebe zu einer Person, die nicht da ist - was heute ganz üblich ist zwischen Eltern und Kindern. Auch Thomas’ Albträume passen gut zu Dantes Universum.

Sehen Sie auch bei Ihren früheren Filmen die Verbindungen zu klassischen Tragödien?

Das ist sehr unterschiedlich. Einige sind ja Adaptationen von Literatur, da kommt automatisch eine andere Ebene hinzu. In »The Look of Love« kommt eine Show vor mit nackten Frauen in Gold, die hatte Paul Raymond damals tatsächlich so auf die Bühne gebracht. Man borgt sich von einem Mythos das aus, was zu den eigenen Vorstellungen passt. Gegenwärtig arbeite ich an einem neuen Film mit Russell Brand, der den Titel trägt »The Emperors’ New Clothes« – das ist ein Dokumentarfilm über die Geheimnisse und Ungleichheiten in der Finanzwelt, aber den Titel haben wir von Hans Christian Andersen geborgt.

Da der Protagonist des Films nun einmal ein Filmemacher ist, werden sich Zuschauer und besonders Filmkritiker fragen, wie viel ist in diese Figur von Michael Winterbottom eingeflossen? Daniel Brühl sagt, laut Presseheft, „20-30%“.

Der Film war nicht ganz einfach zu machen, die Finanzierung stand erst drei Wochen vor Drehbeginn, dann wollte die Stadt Siena nicht, dass wir dort eine Mordgeschichte drehen. Da kam ich mir schon ein wenig wie Thomas im Film vor. Aber der Film ist kein Dokumentarfilm über den Film, den er machen will. Der Grund dafür, dass wir einen Filmemacher zur Hauptfigur machten, war der, dass es mir um die journalistische Auseinandersetzung mit dem Fall ging. Die Journalisten schreiben über andere Menschen, deren Fehler, Schwächen und Sünden. Möglicherweise haben sie selber aber genau so viele Probleme, wie die Menschen, über die sie schreiben. Das interessierte mich: welche Kompromisse müssen sie bei ihrer Arbeit machen? Wir machen einen Film, der ähnlich wie der Journalismus funktioniert. Auch für den Filmemacher stellen sich vergleichbare Fragen wie für die Journalisten. Filmemacher sind genau wie Journalisten Teil dessen, was sie darstellen.

Wie kamen Sie auf Daniel Brühl? Ihr Produzent Andrew Eaton spielte dabei eine Rolle?

Das stimmt, Andrew und ich sind Partner in der Produktionsfirma Revolution Films. Er lernte Daniel bei »Rush« kennen, den er produzierte und meinte, ich solle ihn treffen. Was Daniel dann bei unserem Treffen zu der Figur von Thomas zu sagen hatte, hat mich sofort überzeugt, so dass ich mit keinem weiteren Schauspieler gesprochen habe.

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