In Bewegung – Diagonale Graz

Auf der Diagonale in Graz präsentiert sich der österreichische Film
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Spielfilmpreis in Graz »Ich seh ich seh«

Ein Filmfestival müsse in Bewegung bleiben, sagte die scheidende Festivalleiterin Barbara Pichler

Unter den im Katalog ausgelobten Preisen findet sich der »Diagonale Achievement Award« mit Ruderreise an den Kärntner See nicht. Kein Wunder, die Generalversammlung des österreichischen Films hatte die Auszeichnung erst im Vorfeld der diesjährigen Diagonale spontan geschaffen, um der scheidenden Direktorin Barbara Pichler ein besonderes Zeichen des Danks und der Anerkennung mitzugeben. Sieben Jahre hatte sie das Festival in Graz mit Leidenschaft und ebenso diplomatischem wie kämpferischem Sinn für gezielte Innovationen geleitet. Dazu gehört auch die Öffnung des nationalen Filmfestivals nach außen durch ein – dieses Jahr der französischen Filmemacherin Mia Hansen-Løve gewidmeten – eigenes Programmfenster und Pointierung statt Breite in der Präsentation des heimischen Filmschaffens. Böses Blut gibt es gratis sowieso: Denn nur höchstens jede dritte der etwa 500 Einreichungen kann im fünftägigen Programm überhaupt einen Platz finden.

Pichlers Abgang tut weh, kam aber nicht überraschend: Ein Filmfestival müsse in Bewegung bleiben, sagte sie schon vor Jahren, eine Einsicht, die man auch manchen anderen in Wien oder Berlin wünschen würde. Sie selbst hat die Diagonale dabei immer emphatisch als einen Ort begriffen, der dem Kino – wenn auch nur für ein paar Tage – einen befreiten diskursiven Kontext jenseits kommerzieller Verwertungsmechanismen eröffnet. So stand auch bei der diesjährigen »Personale« zu Nikolaus Geyrhalter weniger die Würdigung eines renommierten österreichischen Dokumentarfilmers im Raum sondern der (rundum gelungene) Plan, seine Arbeiten aus den beiden letzten Jahrzehnten einem Publikum mitzugeben, das bei ihrem Erscheinen noch zu jung war, um sie regulär im Kino zu sehen.

Ein emotionaler Höhepunkt war die Gedenkveranstaltung für den am 23. April letzten Jahres bei einer Drehreise in Afrika mit nur 54 Jahren an Malaria gestorbenen Michael Glawogger. Neben frühen Arbeiten wurde auch erstmals ein fragmentarischer Einblick in das Werk (Arbeitstitel »Film ohne Namen«) gegönnt, für das der Filmemacher mit kleinem Team rund um den Erdball unterwegs war, um – ganz ohne Buch und Interviews – visuelle Begegnungen zu sammeln. Muskelbepackte Ringer in einer Erdarena im Senegal. Fahrten durch exjugoslawische Siedlungen entlang verschossener Ziegelrohbauten und Halbruinen. Ein Schaf in einem vergitterten Autoanhänger.

Szenen, die neugierig auf mehr machen, das Gefühl des Verlusts aber noch einmal verschärfen. Aus insgesamt 70 Stunden gedrehten Materials ausgesucht und zu Musik von Wolfgang Mitterer und einem Text des von Glawogger verehrten Michael T. Vollmann montiert hatte sie Cutterin Mona Willi, die so von einer zentralen Mitarbeiterin unversehens selbst zur Regisseurin wurde. Ein Extremfall, der brillant die enorme Bedeutung der Montage im Kollektivprojekt Kino beleuchtet. Denn – so berichteten sie in einem ausführlichen Werkstattgespräch auf dem Podium – auch bei Geyrhalters Filmen ist Editor Wolfgang Widerhofer während der Drehreisen des Regisseurs im Schnitt­raum daheim schon früh ganz eigenständig an der inhaltlichen und formalen Konzeption beteiligt.

So war es mehr als angemessen, dass die Dokumentar-Jury Geyrhalters letzter Arbeit Über die Jahre neben dem Hauptpreis auch die Auszeichnung für den besten Schnitt zusprach. Im Bereich Spielfilm, wo auch Arbeiten arrivierter RegisseurInnen wie Jessica Hausners »Amour Fou« oder Karl Markovics’ »Superwelt« zu sehen waren, ging der große Preis an die Regiedebütanten Veronika Franz und Severin Fiala für ihr »inhaltlich fesselndes und handwerklich brillantes« (Jurybegründung) psychologisch gegründetes Horror-Familiendrama »Ich seh Ich seh« – Haneke lässt grüßen. In Graz selbst werden mit Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber ganz harmonisch zwei junge »Burschen« aus dem bisherigen Festivalteam Pichlers Nachfolge antreten.

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