"Man hat den Eindruck, die Zeit sei stehengeblieben"

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Interview mit Jonas Alexander Arnby über seinen Film When Animals Dream

 

Würden Sie entschieden widersprechen, wenn jemand When Animals Dream als Horrorfilm bezeichnet?

Das ist eine gute Frage. Ich habe nichts gegen Horrorfilme, ich bin ein großer Fan von Horrorfilmen und mein Film hat definitiv Horrorelemente drinnen. Er wird auch als "Mysterythriller" oder als "skandinavischer Horrorfilm" etikettiert. Für mich ist es ein Genre-Clash – er hat Genreelemente in sich, es ist ein sozialrealistisches Porträt, das mit dem Fantasygenre kollidiert.

Was den Film für mich von anderen Genrefilmen abhebt, ist die Tatsache, dass Sie Marie nie in voller Verwandlung zeigen. War das eine Entscheidung, die sich daraus ergab, dass anderenfalls der poetische Eindruck des Films geschwächt würde?

Genau! Wir haben zuerst die ganze Geschichte geschrieben, am wenigste Zeit haben wir mit Gedanken darüber verbracht, wie die Kreatur aussehen sollte und wie sie psychologisch motiviert wäre. Es ist nicht wie in einem amerikanischen Film, wo es passiert, weil sie den Mond sieht. Es ist den ganzen Film über persönlich motiviert. Mein Ko-Autor und ich sparten uns den Anblick der Kreatur, ihr Aussehen, stattdessen sprachen wir darüber, wer Marie ist, was sie über sich herausfindet, in welchen Umständen befindet sie sich, wie geht ihre Verwandlung psychisch vor sich, wer sind ihre Widersacher, was die Herausforderungen in ihrem Leben? Die Momente der Transformation haben wir dann hoffentlich an den passenden Stellen eingefügt – was ist die animalistische Seite menschlicher Aggression, wie sieht sie aus, wie entwickelt sie sich?


Mir hat sehr gut gefallen, dass es statt Dialogen oft den Austausch von Blicken gibt. Etwa, wenn Marie zum ersten Mal in die Fabrik kommt. Oder wenn sie zum ersten Mal mit Daniel spricht, als sie hilft, den LKW zu entladen. Ich hatte dabei das Gefühl, dass sie ihn ein bisschen anflirtete, also zumindest nicht das naive Mädchen vom Lande ist, das gar nicht weiß, wie sie mit Männern umzugehen hat.

Beim Dialog war es mir wichtig, den Subtext zu zeigen, im Bild ein Verhältnis zwischen den beiden redenden Figuren zu formulieren als alles auszudrücken. Wir haben im dänischen Kino eine lange Tradition, dass jede Emotion verbalisiert werden muss – das wollte ich nicht. Ich hoffe, dass die Zuschauer die Emotionen auch ohne Dialoge begreifen. In dieser Gegend, wo der Film spielt, sprechen die Leute nicht viel, Vielleicht erinnern Sie Sich noch an Babettes Fest – das ist diese Gegend. Auch wenn jene Geschichte hundert Jahre vor meiner spielte, ist es doch dieselbe Ausdrucksweise, viele Sachen, über die man nicht sprechen muss. Das war mir ebenfalls wichtig.

Haben Sie das Drehbuch der Region angepasst? Oder war es immer für eine solche Landschaft konzipiert?

Das ist eine filmisch weitgehend unerschlossene Landschaft, Babettes Fest wurde noch ein weniger nördlicher gedreht, ebenfalls Der Prinz von Jütland und vor einigen Jahren haben sie auch einmal einen der Filme mit der Olsenbande dort gedreht. Ich selber bin aus Kopenhagen, habe aber vor langer Zeit ein Musikvideo in der Gegend gedreht. Als ich den örtlichen Lebensmittelladen besuchte, sagte ich, ich wolle dort drehen. "Kein Problem", sagte der Besitzer und gab mir die Schlüssel zum Haus seines Vaters und zur Kirche. Nicht nur gibt es da diese erstaunliche Landschaft, es ist auch der einzige Platz, wo dieses harte protestantische Gefühl herrscht, Elemente wie aus einem dänischen Märchen, aber nicht so poliert wie bei Hans Christian Andersen. Es ist eine Gegend, wo man den Eindruck hat, die Zeit ist stehen geblieben. Zudem diese unglaubliche Gastfreundschaft – wenn man in Kopenhagen drehen will, will jeder Geld haben. Das war der ideale Hintergrund für Maries Geschichte. Sie haben dort so viele Geschichten zu erzählen, zum Beispiel, wenn dort Schiffe aus England ankamen, nahmen sie die Seeleute mit in die Kirche und gaben ihnen zu essen – unterdessen raubten sie ihre Schiffe aus.

Als Sie nach einer Darstellerin für die Hauptrolle suchten, war Ihnen da von Anfang jemand wichtig, der leicht androgyn wirkt?

Ich hoffte es, aber ich war mir nicht sicher, ob das gelingen würde. Sonia stammt aus der Gegend, sie war 17 Jahre alt, als ich sie fand. Ich habe anderthalb Jahre damit verbracht, sie darauf vorzubereiten, denn als sich sie das erste Mal sah, war sie diese Figur, sie war Marie, absolut - sie hat ein Geheimnis, sie hat etwas Zerbrechliches, das war ein schöner Kontrast zu den physischen Herausforderungen der Rolle, von denen ich anfangs nicht wusste, ob sie die bewältigen konnte. Wir durchliefen dann verschiedene Stufen: zuerst wollte ich sicherstellen, dass sie das schauspielerisch bewältigen kann; dann wollte ich mich vergewissern, dass sie dabei nicht ruiniert wird, sondern ihre Unschuld behält, und zuletzt arbeiteten wir an der animalischen Seite. Sie hatte keinerlei Referenzen für ihr Spiel, sie kam geradewegs aus der Schule. Ich wollte sicher sein, dass es keine Grenzen gab, dass das Vertrauen zwischen uns funktionierte – wie weit ist sie bereit zu gehen? Jeder will berühmt werden, aber ein achtzehnjähriges Mädchen, das nur berühmt werden will, wäre eine Katastrophe für  den Film gewesen. Es würde harte Arbeit werden: Du musst nackt vor die Kamera treten, Du musst Gefühle zeigen und die Entwicklung der Figur – das wird extrem. So musste ich vorher herausfinden, ob sie sich daran gewöhnen konnte.

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