Kino der Zwischentöne

Der Regisseur Paul Mazursky ist gestorben

Eines der zahlreichen Klischees über das Filmemachen, in denen viel Wahrheit steckt, betrifft Regisseure, die als Schauspieler begonnen haben. Ihnen wird nachgesagt, dass sie es verstehen, ihr erstes Metier besonders zur Geltung zu bringen. Ihre Inszenierung verrät oft eine außerordentliche Empfindsamkeit für die Stärken und die Verletzbarkeit ihrer Darsteller.

Paul Mazursky stand bereits seit anderthalb Jahrzehnten vor der Kamera, bevor er 1969 mit Bob&Carol&Ted&Alice zur Regie wechselte. Auch danach trat er immer wieder in seinen eigenen Filmen und denen anderer Regisseure auf; nicht zuletzt, um nie zu vergessen, wie schwer es ist, sich bloßzustellen vor einem Filmteam. Er behauptete gern, für ihn würde die Besetzung 90% der Qualität eines Films ausmachen. Das war eine liebenswürdige Lüge, denn er gehörte ebenfalls zu den besten Drehbuchautoren, die das Hollywoodkino hervorgebracht hat. Aber er wusste, dass eine Figur ihrem Darsteller gehört, sobald die Kamera läuft. So eröffnete er große Freiräume. Jill Clayburgh legte die Titelrolle in Eine entheiratete Frau (1978) emotionaler, angriffslustiger an als im Buch vorgesehen. Zentrale Szenen, darunter ihren morgendlichen Tanz zu „Schwanensee“ und die Sequenz, in der sie alle Gegenstände in den Müll wirft, die sie an ihren untreuen Ehemann erinnern, gehen auf ihre Eingebung zurück. Mazursky entdeckte Ausdruckstiefe in Schauspielern wie Robert Culp, George Segal, Art Carney und Richard Dreyfus, die andere Regisseure nicht einmal erahnten. Gern ließ er die Kamera auf der Reaktion der Darsteller verweilen, nachdem die Pointe einer Szene längst gesetzt war.

Mazursky war bereits fast 40, als er seinen ersten Film inszenierte und war damit gut ein Jahrzehnt älter seine Zeitgenossen, die, stracks von der Filmschule kommend, ein neues Hollywood aus der Taufe hoben. Als Irwin Mazursky 1930 in Brooklyn geboren, fing er in den frühen 50ern als Schauspieler an. In Next Stop Greenwich Village (1976), einer so nostalgischen wie unsentimentalen Rückblende zu seinen eigenen bohèmehaften Träumen und Gefühlsverwirrungen, rekonstruiert er die Probeaufnahmen zu Die Saat der Gewalt, mit dem er bekannt wurde. Er schrieb Sketche für Nachtclubs und TV-Serien, bevor er mit seinem Regiedebüt einen Überraschungserfolg feierte. 

Schon in Bob&Carol&Ted&Alice fand er sein Thema – die mehr oder weniger freiwilligen Versuche der amerikanischen Mittelklasse, sich aus ihrer alten Identität zu lösen – und seinen Erzählton. Mit ironischer Verve versenkt er seinen Blick in das Milieu der Selbsterfahrungsgruppen, die in den 60er Jahren in Kalifornien ins Kraut schossen und respektiert zugleich Fragilität und Mut, die das Ertasten neuer Lebensentwürfe bedeuten. Mazurskys Filme sollten fortan satirischer Scharfblick und Empathie auszeichnen. Seine Charaktere mögen pathetisch, gar lächerlich wirken bei ihrer Suche nach Authentizität, aber er findet sie seiner Zuneigung stets würdig. Er übte auch dann Nachsicht mit seinen Charakteren, wenn sie sich mit Halbwahrheiten durchmogelten. Dabei verschloss er seinen Blick nie dafür, wie seine Landsleute oft Lebensstil mit Leben verwechseln. Er hegte unverhohlene Bewunderung für ihre Gabe, sich unentwegt neu zu erfinden. Ihre Widersprüchlichkeit erheiterte ihn zutiefst. In Harry und Tonto (1974) interessieren einen altgedienten Kommunisten in der Zeitung nur die Börsenkurse.

Derlei Großzügigkeit war der rechthaberischen Kritik in Deutschland immer ein wenig verdächtig. Dabei war er auf dem Terrain des jüdischen Humors nicht selten die bessere Alternative zu Woody Allen. In seinen Innenansichten des Milieus der begüterten self-conscious class steckt eine schonungslose Aufrichtigkeit gegenüber den eigenen Erfahrungen. Spiegel gehören zu den wichtigsten Requisiten seiner Filme. Dieser Satiriker konnte aber auch ein ungenierter Romantiker sein. „Die Liebe ist wie ein Wunder“, heißt es einmal in seiner Komödie Blume in love (1974), "man kann sie nicht verstecken." Ein US-Kritiker schrieb in den 70ern über ihn, er sei der einzige Gegenwartsregisseur, für den die Ehe noch eine Selbstverständlichkeit ist.

Dieser romantische Zug hatte explizit europäische Wurzeln. Mazurskys Filme führen vor, wie weltoffen das US-Kino einmal war. Der Regisseur erwies Fellini seine Reverenz, drehte ein Remake von Renoirs Boudu (Zoff in Beverly Hills, 1986) und ein inoffizielles von Truffauts Jules und Jim (Willie und Phil, 1980). Shakespeare war eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen. Europäisch mutet auch das Zaudern seiner Charaktere an und seine Weigerung, dem Publikum vertraute moralische Gewissheiten und sentimentale Tröstungen anzubieten. In seiner Verfilmung von Isaac Bashevis Singers Feinde – Eine Liebesgeschichte kulminierte 1989 diese Tendenz ein letztes, bravouröses Mal. Danach fiel es ihm immer schwerer, Produzenten zu finden, die sich auf sein Kino der Zwischentöne einlassen mochten. Am vergangenen Montag ist Paul Mazursky im Alter von 84 Jahren in Los Angeles einem Herzstillstand erlegen.  

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