Das Leben ist woanders

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Regen, Regen, Regen – mit dem Biergarten war es leider nichts in diesem Jahr in München. Was ja das Filmfest gefreut haben dürfte, das mit einem zwar nochmals abgespeckten, aber prägnanten Programm aufwartete

Dass Filmfestivals Orte der Entdeckungen sind, wissen alle, die sie besuchen. Doch nicht nur die aktuellen Filme machen den Reiz eines Festivals aus. Sondern auch die Ausgrabungen, verschollen geglaubte Filme, Retrospektiven eines Regisseurs, Epochenprogramme. Sie konfrontieren unsere Gegenwart mit der Vergangenheit des Kinos – was Erstere nicht immer gut aussehen lässt. Und so war die vielleicht größte Tat des diesjährigen Filmfests eine Retrospektive des amerikanischen Regisseurs Walter Hill, dessen Filme sogar zum großen Teil in Zelluloidkopien gezeigt wurden. Was ja dem Wort Filmgeschichte mittlerweile eine doppelte Bedeutung gibt. Walter Hill war vom Ende der siebziger bis in die neunziger Jahre so etwas wie der auteur des ambitionierten Actionfilms, mit Filmen wie The Driver, dem spröden Western The Long Riders, dem Buddymovie Nur 48 Stunden oder Red Heat, dem besten Arnold-Schwarzenegger-Vehikel überhaupt. Walter Hill in München zu zeigen hat durchaus Tradition, zwei seiner Filme, Geronimo (1993) und Wild Bill (1995), liefen beim Filmfest im Kino, wurden danach aber nur auf Video ausgewertet. Was vielleicht auch dem brasilianischen Animationsfilm Der Junge und die Welt passieren kann, einem der schönsten Filme des Festivals, der gleichzeitig in der Independent- wie der Kinderfilmsektion lief, ein bildgewaltiges Werk ohne Dialoge, das auf die Magie seiner Muster und Farben setzt.

Manchmal altern Filme nicht gut – auch das macht den Reiz einer solchen Retrospektive aus. Wer Hills Rock’n’Roll-Fantasie Straßen in Flammen (1984) noch einmal auf der großen Leinwand sieht, merkt, wie diese durch und durch synthetische Filmoper den Nukleus des gesamten Stilkanons des Achtzigerjahrekinos birgt, ein Film, den man heute noch gut sehen kann. Leider floppte Hills Rockmärchen an den Kassen. Er lebe zwar in Hollywood, hat Hill in München gesagt, aber er sei doch immer ein Außenseiter geblieben.

Von Außenseitern handeln auch viele der neuen deutschen Filme, die das Filmfest in einer Reihe zeigte und die Jahr für Jahr einen der weiteren Anziehungspunkte des Münchner Filmfests ausmachen. Die Jungs und Mädchen etwa, die in Dessau Dancers im Westfernsehen 1985 den Film Beat Street sehen und den Breakdance auf der Straße performen, sehen sich auf einmal im gesellschaftlichen Aus – wie die meisten Figuren in den ausgetretenen Pfaden einer Ostalgie-Komödie. Etwas eigenbrötlerisch wirkt auch Chaim Lubelski in Elkan Spillers Dokumentarfilm L’Chaim – Auf das Leben!, ein Weltenbummler, der zwischen den Kulturen treibt und zu seiner Mutter, einer Holocaustüberlebenden nach Antwerpen zieht, um sie dort zu pflegen. Viele biografische Fäden, auch viele existenzielle Untertöne laufen in der Mutter-Sohn-Beziehung dieses berührenden Films zusammen.

Ganz auf sich bezogen ist Lynn. Sie lebt allein, hat eine grobsexuelle Beziehung mit dem Manager des Hotels, in dem sie als Zimmermädchen arbeitet. Das Leben findet neben ihr statt. Sie liebt es, in den Sachen der Gäste zu stöbern. Eines Tages legt sie sich unter das Bett, und das wird fortan die wichtigste Perspektive des Films. Lynn verliebt sich in eine Domina, die ein Gast angeheuert hat. Viele Geschichten sind in diesem ruhigen, fast eintönigen Film angelegt, aber Ingo Haeb konzentriert sich in seinem nach einem Roman von Markus Orths entstandenen Das Zimmermädchen Lynn ganz auf die Annäherung dieser beiden Frauen.

Dieses Grundgefühl, quasi jenseits der Realität (oder besser: jenseits des Gesetzes) zu stehen, findet sich auch bei den SEK-Polizisten in Wir waren Könige. Sie operieren in einem Viertel, in dem Jugendgangs den Ton angeben, und als zwei Jungen ermordet werden, starten die Polizisten ihren eigenen Feldzug. Fiebrig erzählt Philipp Leinemann seine Geschichte, die von Korruption und Rechtsbeugung handelt und in der die Grenzen zwischen Gut und Böse bis zur Unkenntlichkeit verwischt sind.

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