Das Beste aus Krieg und Krise

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Eine starbesetzte Komödie und die Dokumentation eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit sorgen für einen begeisternden Auftakt des diesjährigen 71. Filmfestivals von Venedig

 

Letztes Jahr begann der Film Gravity von Venedig aus seine Erfolgsgeschichte, die schließlich zu sieben Oscars führen sollte. Als für dieses Jahr bekannt wurde, dass es auf dem 71. Filmfestival von Venedig keinen vergleichbaren großen Hollywoodfilm (und auch keinen Film mit George Clooney) geben würde, sahen viele das Festival in der Krise. Doch nun zeigten bereits die ersten Filme, dass davon keine Rede sein kann. Im Gegenteil: Cannes mag die größeren Namen haben, doch handelt es sich dabei immer wieder um die gleichen Regisseure. Venedig aber kann mit seiner Auswahl noch überraschen. Und das mit Filmen, die thematisch so weit auseinanderliegen wie eine Komödie über Schauspielereitelkeiten und eine Dokumentation über ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Mit großer Begeisterung wurde der Eröffnungsfilm aufgenommen, die Komödie Birdman des Mexikaners Alejandro Gonzales Inarritu. Vom Regisseur von Babel hatte niemand die Sorte Komödie erwartet, bei der man sich auf die Schenkel klopft. Und so beeindruckte Birdman, in dem der 62-jährige Michael Keaton einen alternden Schauspieler in der Krise spielt, auch weniger mit Pointen-Dichte als vielmehr durch die Dichte seiner Beschreibung. Gedreht wie in einer einzigen Einstellung – die wenigen "Schnitte" verbergen sich hinter auf den Himmel gerichtete Zeitrafferaufnahmen – spult der Film wenige Tage im Leben des ehemaligen Superheldendarstellers ab, der nun mit einer Broadway-Inszenierung noch einmal zeigen will, was in ihm steckt. Die Kamera folgt den Figuren auf ihren verschlungenen Wegen in und um ein altes Theatergebäude herum, wobei sich weniger ein realistisches Bild eines Probenablaufs vor und hinter den Kulissen ergibt als vielmehr ein wüster Alptram, bei dem man nie weiß, ob sich nicht doch alles nur im Kopf der Hauptperson, des Birdman-Darstellers Michael Keaton abspielt.

Die Mischung aus technischer Meisterschaft und einem Ensemble von Schauspielern (darunter Edward Norton, Emma Stone und Zach Galifianakis), das sich der Herausforderung der langen Einstellungen mit großem Engagement stellt und dabei glänzt, ergibt einen ungeheuer fesselnden Film. Wie die Hauptfigur selbst, scheint der Film um seine Selbstgefälligkeit und Eitelkeit zu wissen – Stichwort "Luxusprobleme" –, er erreicht den Zuschauer mit seinem Sarkasmus, der ganz gegen die eigenen Branche gerichtet ist und seinem Sinn für die alltäglichen menschlichen Schwächen.  

Thematisch könnte der Kontrast zum zweiten Film im diesjährigen Wettbewerb, Joshua Oppenheimers Dokumentarfilm The Look of Silence, kaum sein. Oppenheimer hatte im Februar für sein Langfilmdebüt The Act of Killing eine Oscar-Nominierung erhalten. Darin zeichnete er die grausame Geschichte des indonesischen Massenmords an "Kommunisten" nach dem Militärputsch Mitte der 60er Jahre nach, indem er Täter von damals ihre grausamen Taten nachstellen ließ. Der Film war eine erschütternde Dokumentation der Unmenschlichkeit. Mit The Look of Silence setzt Oppenheimer unmittelbar am Vorgängerfilm an. Diesmal lässt er den nachgeborenen Bruder eines der Opfer vor der Kamera die Täter befragen, die heute angesehene alte Männer sind. Trotz seines grausamen Themas ist The Look of Silence ein ungeheuer sanfter Film, der einen fast zärtlich zu nennenden Blick auf die alten Eltern des Opfers wirft und dabei den Horror, den sie erlitten haben um so deutlicher sichtbar macht. Sehr viel weniger "Show als" noch der Vorgängerfilm, liefert auch der neue Film keine Beichten oder Schuldbekenntnisse, sondern rekonstruiert eindringlich die Unerträglichkeit dieser sühnelosen Situation, in der die Täter noch immer ihre Opfer verhöhnen und diese noch immer ihre Namen lieber anonym halten wollen. Mit Filmen von solch technischer und inhaltlicher Brillanz wie Birdman und The Look of SIlence befinden sich die diesjährigen Filmfestspiele von Venedig auf einem sehr guten Weg. 

 

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