Berlinale: Wir sind die Guten!

"Calvary" (2014)

"Calvary" (2014) © Ascot Elite

Unheimliche Zeitgenossen bevölkerten die Berlinale quer durch die Sektionen: Fanatiker, Fundamentalisten und andere Unverbesserliche

Wenn dir Gospel und Jazz wichtiger sind als Gott und dein Seelenheil . . .« – so stellt die hartherzige Mutter ihre 14-jährige Tochter Maria vor eine nur scheinbare Wahl, als diese den Kirchenchor einer »normalen«, weltoffenen Gemeinde besuchen möchte. Die oder wir, Gut oder Böse heißt es immer wieder in der fundamentalistischen Glaubensgemeinschaft, in der diese Familie lebt und die an die berüchtigte Pius-Bruderschaft angelehnt ist. Marias Coming-of-Age wird zur Katastrophe in Dietrich und Anna Brüggemanns Kreuzweg (Wettbewerb), dem formstrengen Gewinner des Silbernen Drehbuch-Bären.

Weniger augenfällig, auch weniger plakativ als in Kreuzweg zog sich Fanatismus verschiedenster Prägung wie ein roter Faden durch die diesjährige Berlinale. Waren die Radikalen in manchen Filmen eher Randfiguren wie die Taliban in Zwischen Welten oder die Faschisten in Grand Budapest Hotel (Wettbewerb), so spiegelten zwei Filme die Folgen religiöser wie politischer Engstirnigkeit und Doppelmoral in Irland. Calvary von John Michael McDonagh, der im Panorama lief, ist die Chronik eines angekündigten Todes: Im Beichtstuhl kündigt ein Mann an, er werde den Pater in einer Woche ermorden, aus Rache für jahrelangen Missbrauch durch einen anderen Geistlichen. Die schwarze Komödie, in der der integre Priester zum Prügelknaben für all das Böse wird, das im Namen der Kirche geschah und geschieht, entwirft ein Panorama sozialer Verwerfungen im Irland von heute – und trägt im Herzen trotz allen Humors eine bemerkenswerte Unversöhnlichkeit. Yann Demanges Wettbewerbsbeitrag »’71« spielt in der heißen Phase des Bürgerkriegs in Nordirland. Mehr viszeral denn analytisch erzählt er von einem jungen britischen Soldaten, der bei einem Einsatz im »Feindesland« verloren geht und dort auf sich gestellt um sein Leben kämpft. Die Mauern zwischen protestantischen und katholischen Stadtteilen stehen für die ideologischen Fronten, doch Religion und Politik sind nur noch Rhetorik in einem Krieg, der sich verselbständigt hat.

Dass man auch miteinander reden kann, zeigte der Exiliraner Mehran Tamadon im Forum: Iranien ist das dokumentarische Protokoll eines Experiments. Der Regisseur, ein Atheist, lud vier Verfechter des »Gottesstaats« in seiner Heimat ins Landhaus seiner Familie ein und diskutierte mit ihnen über gesellschaftliche Fragen – etwa die Rolle der Frauen, Pressefreiheit, Musik und Literatur. So entstand ein faszinierender, manchmal erschreckender Dialog über die Fronten der Ideologie hinweg, inklusive gemeinsamen Kochens, Essens und Lachens. Einen leichten Stand hat der Filmemacher jedoch nicht, er wird mit rhetorischen Spitzfindigkeiten konfrontiert, auf die er nicht immer eine Antwort weiß.

Als wahrer Meister des Worteverdrehens erweist sich Donald Rumsfeld in Errol Morris’ The Un­known Known, der bereits im Titel jene schwindelerregende Rabulistik aufgreift, mit der der Politiker die Irak-Invasion der USA rechtfertigte. Rumsfeld ist in diesem politischen Charakterporträt nie um eine Antwort auf Morris’ provokante Fragen verlegen, und wenn er sich bei seinen dialektischen Pirouetten in Widersprüchen verheddert, setzt er einfach ein breites Grinsen auf – der selbstgerechte Vertreter eines Fundamentalismus, der keine Ideologie braucht, eines Fundamentalismus der Macht. Während Errol Morris allerdings seinen Gesprächspartner mit filmischen Mitteln entlarven kann, ohne Sanktionen zu befürchten, hatte Iranien außerfilmische Folgen: Die iranischen Behörden drohen dem Regisseur bei Wiedereinreise mit dem Entzug seines Passes, den Iran dürfte er dann nicht mehr verlassen. Mit Hütern der Wahrheit, gleich welcher Couleur, ist eben selten zu spaßen.

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