62. Filmfestival von San Sebastian

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Preisträgerfilm: »La Isla Minima«

Arm, aber sexy ...so könnte der neue Werbespruch des spanischen Kinos lauten. Trotz scharfer Kürzungen der Budgets zeigte sich die spanische Filmlandschaft auf dem 62. Filmfestival von San Sebastian in künstlerischer und kommerzieller Blüte

Die Deutschen genießen auf neue Weise einen schlechten Ruf in Europa. Man merkt es vor allem an Filmen, die satirisch Gegenwartsanalyse betreiben wie zum Beispiel Sie starben über ihren Verhältnissen (Murieron por encima de sus posibilidades), der auf dem Festival von San Sebastian Premiere feierte. Der spanische Film ist eine wilde Saga über einen Trupp von ob der aktuellen Krise verrückt Gewordenen, die eine Jacht kapern, um es den feiernden Reichen heimzuzahlen. Gen Ende tritt ein Deutscher auf, der den Spaniern vorhält, dass Sparvorgaben nicht eingehalten wurden. Nicht zuletzt wegen seiner allzu plumpen aktuellen Verweise enttäuschte der Film sein nach zutreffenden Gegenwartsbeschreibungen hungerndes Publikum. Er markierte aber dennoch eine allgemeine Stimmung der Wut und Verstörung, die auf dem Festival so deutlich wie nie zum Ausdruck kam. »Wir sind völlig verzweifelt, nahe an der finstersten Depression«, brachte es der spanische Regiegroßmeister Pedro Almodóvar auf den Punkt, der in diesem Jahr als Produzent eines im Nebenprogramm gezeigten argentinisch-spanischen Films vertreten war. Bezeichnend, dass auch Relatos salvajes (Wild Tales) in erster Linie von Wut, Gewaltausbrüchen und Amokläufen erzählt.

Was die ökonomische Krise betrifft, so befindet sich Spaniens Filmindustrie tatsächlich in schmerzlicher Übereinstimmung mit der spanischen Gesellschaft: Die Einsparungen sind so drastisch wie in kaum einer anderen europäische Filmindustrie. Seit 2011 wurde die staatliche Förderung um über die Hälfte des Etats gekürzt, das Durchschnittsbudget einer spanischen Produktion ist auf unter zwei Millionen Dollar gesunken. Doch die wirtschaftliche Misere zieht keineswegs eine kreative nach sich; im Gegenteil: Das spanische Kino zeigte sich auf dem 62. Filmfestival in San Sebastian als ideenreich, originell und erfolgreich: Vier der sieben im Hauptwettbewerb vergebenen Preise gingen an die »Heimmannschaft«.

Gleich zwei Toptrophäen des Festivals, die Goldene Muschel und den Preis für die Beste Regie, erhielt der spanische Regisseur Carlos Vermut für Magical Girl. Der Film erzählt von einem arbeitslosen Vater, der schließlich zu verbrecherischen Methoden greift, um seiner an Leukämie erkrankten kleinen Tochter letzte, teure Wünsche zu erfüllen. Er ist zugleich eine verstörende Beschreibung einer von Abwärtsspiralen und Gewaltbereitschaft geprägten Gesellschaft und kommt dabei ganz ohne flache Politikverweise aus. Mit höchst origineller Filmsprache gibt Vermut eine Atmosphäre wieder, in der sich ökonomische, erotische und depressive Zwänge auf äußerst ungute Weise gegenseitig durchkreuzen.

Ebenfalls zwei Preise gingen an den spanischen Thriller La isla mínima von Alberto Rodriguez: Javier Guttiérrez (deutschen Zuschauern aus der auch hierzulande erfolgreichen Farce Ein ferpektes Verbrechen bekannt) wurde als bester Schauspieler und Alex Catalán für die beste Kameraarbeit ausgezeichnet. In einer Manier, die nur oberflächlich an die Serie True Detective erinnert, zeigt La isla mínima zwei Polizisten, die eine Mordserie im Spanien der 80er Jahre aufklären wollen. Es stellt sich heraus, dass die ganze Epoche Aufklärung nötig hat . 

Die Preise des Festivals setzen einen bereits etablierten Erfolgstrend fort: Trotz Kürzungen nämlich verzeichnen spanische Filme auf dem einheimischen Markt einen Zuspruch wie selten: 25 Prozent Marktanteil sind für 2014 angesagt. Die Zahl verdankt sich einer ganzen Reihe von hausgemachten Hits, darunter einem Film, der in Spanien sämtliche Kassenrekorde, auch den von Titanic, gebrochen hat: Ocho apellidos vascos (Spanish Affair), in dem im Stil von Willkommen bei den Sch’tis die regionalen Unterschiede Spaniens aufs Korn genommen werden. In der komödiantischen Romanze bekommen »schmalzige« Andalusier, aber vor allem die sturen Basken ihr Fett weg. Katalanen, deren Unabhängigkeitsbestreben das aktuell Brenzligere ist, werden bezeichnenderweise nicht erwähnt.

Der humorvolle Umgang mit der baskischen Bewegung in Spanish Affair lässt sich auch als hoffnungsvoller Hinweis deuten, dass sich im baskisch-spanischen Verhältnis seit dem offiziellen Ende des Terrors vor zehn Jahren einiges entspannt hat. Mindesten drei weitere Filme des Festivals setzten den Trend fort: Mit Loreak (Flowers) lief zum ersten Mal ein rein baskischer Film im Wettbewerb. Das stille, intime Drama über Alter und Einsamkeit wurde als würdiger Beitrag mit mehr als reiner Alibifunktion begrüßt. In dem im Nebenprogramm gezeigten Negociador wurde die Geschichte der Verhandlungen zwischen ETA und spanischer Regierung als Komödie der Irrungen präsentiert. Noch wichtiger aber war die Vorführung des außerhalb des Wettbewerbs gezeigten Lasa y Zabala, in dem eines der schmerzlichsten Kapitel der jüngeren Geschichte aufgearbeitet wurde: die Entführung, Folterung und Hinrichtung zweier mutmaßlicher ETA-Angehöriger durch eine geheime, aber im Staatsauftrag handelnde Antiterrorgruppe im Jahr 1983. Umlagert wie kaum ein anderer Film des Festivals, mit demonstrativen stehenden Ovationen begrüßt, bildete dieser ohne Handgreiflichkeiten oder andere Störungen ablaufende Empfang eine Normalität ab, die, so Festivaldirektor José Luis Rebordinos, noch vor zehn Jahren unvorstellbar war.

Angesichts solcher historischer Momente hatten es in diesem Jahr andere Filme fast schwer, die nötige Aufmerksamkeit zu bekommen. So müssen Cédric Kahns schöner Hippievaterfilm Vie sauvage, Francois Ozons Genderkomödie Une nouvelle amie und Bille Augusts Sterbehilfedrama Silent Heart bei ihrem jeweiligen Kinostart gewürdigt ­werden.

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