Erzählt uns was

Bernd Kracke bei der Eröffnung der B3

© Dominik Dresel

Die Kunst, die Serien, die Immersion und der ganze Rest. Die erste Ausgabe des Medienfestivals B3 in Frankfurt  am Main führte in den Dschungel der zeitgenössischen Bewegtbild-Produktion

Schee, des Meer«, sagt die Frau und lässt sich auf die Bank in der Blackbox sinken. Ja, das ist schön, wie die Wellen da heranrauschen, leinwandfüllend, überscharf, in einem Beitrag zur Ausstellung »Per speculum me video«  im Frankfurter Kunstverein. Vielleicht hat die Dame das mal gebraucht: den Anblick einer reinen Naturgewalt. Die Wellen antworten nicht, wenn man mit ihnen redet.
 
Draußen rauscht es auch, aber anders. Gerade ist in Frankfurt die erste »B3 – Biennale des bewegten Bildes« gestartet, ein Medienfes­tival, das alle anderen Medienfestivals überflüssig machen wird. Das musste wenigstens glauben, wer dem Leiter Bernd Kracke, Präsident der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, bei der Eröffnung zuhörte. Ein »neues Format« sei entstanden, das es so »weltweit noch nicht gibt«, eine »Allianz für das bewegte Bild«, von »internationaler Strahlkraft« hoffentlich. Wahrscheinlich muss man so etwas sagen, wenn man allein vom Land Hessen 1,4 Millionen Euro pro Biennale bekommt. 
 
In der Praxis war das dann manchmal, als würde man mit Asterix der glorreichen römischen Armee beim Manöver zuschauen. Mehr als hundert Veranstaltungen in fünf Tagen, viele in Kooperation mit Museen, Hochschulen, Vereinen, Galerien, eine Menge internationaler Gäste, der schwergewichtige Reader – ein Kraftakt, zweifellos. Thematisch ging es, anders als bei dem stark an Technik und Filmproduktion orientierten eDIT-Festival, dem zuletzt heftig geschmähten Vorgänger der B3, um »Bewegtbilder« in jeder Form. TV-Serien und Games, Videokunst, crossmediale und immersive Strategien sollten unter dem Stichwort »Expanded Narration – Das neue Erzählen« zusammengeführt werden. Ein wilder, zielgruppentechnisch mindestens schwieriger Mix aus Medienkunstfestival und Convention, akademischer Leistungsschau und Businesstreff. 
 
In der Sparte Medien-Klassik ließen ­A-Promis wie Peter Weibel, Robert Wilson und Laurie Anderson Erinnerungen aufflackern an eine Zeit, in der eine Videoprojektion auf einer Bühne noch Irritationen auslösen konnte. Die modischeren Schwerpunkte Serien und Games sprachen ein Publikum an, dem das Switchen zwischen den Screens zur zweiten Natur geworden ist. Wobei diese Formen von Bewegtbild natürlich auch keine neuen Phänomene mehr sind, sondern Geschäftszweige, die längst werbewirksame Legenden über sich selbst – was sag ich? Narrative! – in Umlauf gebracht haben. 
 
So etwa die Geschichte von der »Revolution« im Reich der Premium-Fernsehserien. Zwar meldete die Frankfurter Literaturwissenschaftlerin Eva Geulen schon anfangs Zweifel an – man habe es weniger mit neuen Erzählformen als veränderten Rezeptionsweisen zu tun. Aber im Wesentlichen wurde das Seriengeschehen zwischen den »Sopranos« und »Breaking Bad« auf vielen Veranstaltungen doch nur wieder in seiner »Komplexität« bestaunt – weniger von den aus den USA, Australien oder Skandinavien angereisten Serienproduzenten als von deutschen Medienfachleuten, Autoren und Festivalmachern.
 
Auch in der Abteilung Games stand, bei Spieledesignern wie Don Daglow und Rhianna Pratchett, das »Storytelling« im Vordergrund. Aber wollen Gamer sich wirklich was erzählen lassen? Hardcore-Spieler jedenfalls dürften von ihrem Angebot unterm Strich etwas unterernährt geblieben sein – denen muss man nach 30 Jahren Gameskultur nicht mehr sagen, dass sie sich mit einem »reifen Medium« beschäftigen. Die unklare kuratorische Strategie der Hybridveranstaltung B3 wurde hier be­sonders offensichtlich: Die zeitgenössische Vergnügungsindustrie ist sehr, sehr smart – doch sie wird nicht deshalb Kultur oder Kunst, weil man sie an hippen Begriffen entlang diskutiert.
 
Die »Immersion«, noch so ein buzz word, lastete vor allem auf der Konstruktion eines portablen Fulldomes in einer Kirche. Hier stellte Rotraut Pape von der HfG eine Szene vor, die seit Jahren am Rande der öffentlichen Wahrnehmung arbeitet. Was durchaus schade ist, denn wenn etwas geeignet war, das abendländische Denken in Tafelbildformaten und Zentralperspektive auszuhebeln, dann waren es die zum großen Teil computeranimierten 360°-Filme, die man liegend in der Halbkuppel schauen konnte – ein Raum, der erkundet werden will, chaotisch und unhierarchisch.
 
Die Mutter aller Bewegtbilder, der analoge Film, entgleitet derweil ins Dunkel der Geschichte. Am Rand der B3 wurde auch über die drohende Musealisierung der siebten Kunst reflektiert und über den Umgang der Deutschen mit ihrem Filmerbe. Während viele europäische Länder Methoden gefunden haben, mit unterschiedlichen Filmmaterialien umzugehen, sie zu lagern, zu verwalten und auf die eine oder andere Weise wieder verfügbar zu machen, sieht die Lage bei uns bedrohlich aus: Für die Archivierung von Originalkopien deutscher Filme gibt es keine regulären Mittel — eine ganze Kultur könnte verloren gehen. Auf jeden Fall alles erhalten, forderten Claudia Dillmann vom Deutschen Institut für Filmkunde, der Regisseur Helmut Herbst und Martin Koerber von der Stiftung Deutsche Kinemathek. Man könne die Filme ja erst mal einfrieren. Die pragmatische Frankfurterin vom Anfang würde vielleicht sagen: Was mer hat, des hat mer.

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