Ich konnte mir viele Fehlschüsse leisten

Interview mit Dominik Graf

 

 

Herr Graf, wann haben Sie an der HFF in München studiert? 

Ich habe mich relativ spät für Film entschieden und kam 1974 in den F-Kurs. Da war Wenders gerade zwei Jahre von der HFF weg. Das Studium war damals noch in Fernsehspiel und Film eingeteilt. Im Anschluss wirklich als Regisseur zu arbeiten, schien aber noch schwieriger als heute. Es gab ja nur ARD und ZDF und etwa ein Dutzend Spielfilme jährlich. Wir guckten sozusagen durch die Bänke und fragten uns: "Wer von uns wird es schaffen?"



Was hielten Sie vom Nimbus der damaligen HFF? 

Es gab noch Restbestände des glorreichen A- und B-Kurses. Deren Filme kamen uns Ignoranten allerdings erst mal absurd vor. Warum einer zehn Minuten lang in einer Einstellung eine Kreuzung filmt, war uns damals unbegreiflich. Meine Generation bemühte sich, sich deutlich vom Autorenfilm abzusetzen. Wir waren uns einig darin, dass die Filme sehr viel unterhaltsamer sein müssten.



Mit wem haben Sie studiert? 

Zum Beispiel Wolfgang Büld, der dann in den achtziger Jahren Filme wie Gib Gas, ich will Spass und Manta, Manta gemacht hat. Jetzt dreht er Videofilme in England, die sehr bizarr und bemerkenswert sind. Büld sagte gleich in der ersten Stunde an der Schule, dass Film in seinen Augen eine verderbliche Ware sei und zum schnellen Verbrauch bestimmt. Das klang beeindruckend. Max Färberböck war auch in meiner Klasse. Einen Kurs vor mir gab es den sehr einflussreichen Kameramann Helge Weindler, der später fast alle Doris-Dörrie-Filme fotografiert hat.



Konnten Sie vom HFF-Studium profitieren? 

Das Wichtigste war die Auseinandersetzung über Dramaturgie: wie kann man spannender erzählen? Und die über Schauspiel. Seit dem A-Kurs wurden in den HFF-Filmen immer nur Laien verwendet. Ich war einer der Ersten, der auf professionelle Schauspieler setzte, aber eigentlich nur deswegen, weil ich Angst vor Laien hatte. Diejenigen, die mit Laien inszenierten, fürchteten wiederum Schauspieler und deren Hamlet-Stil. Das war damals durchaus berechtigt, denn deutsche Darsteller spielten jede Kneipenbestellung wie einen Monolog.



Was waren die Highlights des Studiums?

Es kam damals eine ganze Reihe von Weltklasse-Regisseuren an die Schule, Robert Aldrich und auch Kurosawa. Oder es gab ein Panel mit den sechs deutschen Top-Produzenten. Interessant war dabei nicht so sehr das Gespräch mit diesen Branchengrößen. Vielmehr bekam man mit, wie Regisseure auftreten, wie sie sprechen und welches Selbstbewusstsein sie ausstrahlen oder nicht. Das war spannend. Man konnte sich wie an einem Modell abarbeiten.



Mit Ihrem Abschlussfilm Der kostbare Gast haben Sie den Bayerischen Filmpreis
gewonnen. Wie verlief Ihr Brancheneinstieg? 


In der Serienabteilung der Bavaria saßen 1979, als ich das Studium beendete, zehn ehemalige Hochschüler. Die haben die alte Bavaria umgekrempelt und mit "Schimanski" und anderen Projekten die Serienlandschaft im Fernsehen verändert. Ich habe nach dem Abschlussfilm und einem missglückten Spielfilm dort mit ganz kleinen Vorabendserien angefangen und mich erst allmählich auf den nächsten Spielfilm zubewegt. Diese Art von Karriere, die erst nach zehn Jahren zu sich selbst kommen kann, gibt es wohl nicht mehr. So viel Zeit bekommen heutige Talente nicht. Die müssen mit ihrem Abschlussfilm einen Preis erhalten, gleich mit dem nächsten Drehbuchskript eine Förderung bekommen und sich dann auch oben halten. Geht der zweite oder dritte Film daneben, wird es eng. Die vielen Fehlschüsse, die ich mir anfangs leisten konnte, nach denen ich trotzdem immer weiter als Talent galt, wären heute nicht mehr möglich. Der Einfluss der Funktionäre ist zu groß geworden und die Möglichkeit, etwas auszuprobieren, entsprechend klein.



Glauben Sie, Studenten werden heute genügend auf den Markt vorbereitet? 

Den Studenten in Köln an der ifs, wo ich unterrichte, muss ich die Berufsaussichten manchmal mit etwas drastischen Worten schildern. Andererseits sind die eine extrem realistische Generation. Ich finde es in Ordnung, wenn zunächst jeder für sich allein denkt: "Ich werd' ein zweiter Fassbinder! Oder nein, bitte
nicht. Aber ein ... von mir aus, Scorsese." Man sollte sich was vornehmen. Die Abschabungen kommen von allein.


Helmut Merschmann sprach mit Dominik Graf

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