09/2016

»Männer, Sand & Melodrama« –  Manche Stoffe kommen nie aus der Mode. Das Ringen von Ben Hur um Glaube, Liebe und Gerechtigkeit zum Beispiel. Die Geschichte kommt jetzt wieder ins Kino – Rückblick auf ein gewaltiges Erbe +++ 

»Zurück zu den Wurzeln« –  Das Maori-Epos »Mahana« könnte ein Prequel von »Die letzte Kriegerin« sein. Der Regisseur Lee Tamahori über Menschen in Extremsituationen und die tückische Schönheit seiner Heimat Neuseeland +++ 

»Italien – wohin?« –  In unserer Serie über die aktuelle Lage des Independent-Kinos sucht Georg Seeßlen nach italienischen Filmen jenseits von Wohlfühlkomödien, Fernsehformaten und alter Bellezza +++ 

Filme des Monats: +++ 24 WOCHEN +++ THE BEATLES: EIGHT DAYS A WEEK +++ HEDIS HOCHZEIT +++ MY FIRST LADY +++

In diesem Heft

Tipp

Caged Heat: Nicolas Cage ist der König der DVD-Premieren – aber sind die Filme wirklich so schlecht?
22. bis 25. September, Hamburg – Traditionell im Vorlauf zum Filmfest Hamburg, das am 29. September startet, wird die Alster zum Kinosaal. Auf die schwimmende Leinwand vorm Jungfernstieg wird dieses Mal ein Märchen- und Fantasyprogramm projiziert. Den Anfang macht die Michael-Ende-Verfilmung »Momo«, den Abschluss bildet die restaurierte Fassung von »Der Zauberer von Oz«
22. bis 25. September, Berlin – Das Filmerbe-Festival der Deutschen Kinemathek findet dieses Jahr erstmalig statt. Die Veranstaltung stellt sich der schwierigen Frage nach dem Überleben des fragilen Kulturguts Film im digitalen Zeitalter. Georg Wilhelm Pabsts »Kameradschaft« eröffnet das Programm, das neben weiteren Filmvorführungen digital restaurierter Filme auch eine zweitägige Tagung zum Thema, die Verleihung des Lotte-Eisner-Preises für ein herausragendes Kinoprogramm und ein Kinderprogramm bietet
18. bis 25. September, Frankfurt am Main – In seiner 39. Ausgabe zeigt sich das Kinderfilmfestival des Deutschen Filminstituts unter neuer Leitung mit aktualisiertem Konzept. Das Langfilmprogramm setzt nicht mehr allein auf die Premieren aktueller Produktionen. Vielmehr ist der Anspruch, nun auch Klassiker und Filme, die nicht zwingend als Kinder- oder Jugendfilme ausgewiesen sind, zu integrieren. Die Interaktionsmöglichkeiten des jungen Publikums mit Festival und Filmen sind aber nach wie vor das Herz der Veranstaltung: in Gesprächen mit den Gästen, in der Filmauswahl oder auch der Jurybewertung
16. bis 17. September, Mannheim – Das älteste kommunale Kino Baden-Württembergs wird 45. Anlässlich dieses Jubiläums feiert das Kino mit einem Gratiswochenende für seine Zuschauer. Am Freitag folgt auf eine Diskussion mit Zeitzeugen der Gründung Jacques Tatis Komödie »Tati im Stossverkehr«, Am Samstag untermalt Jazz-Livemusik den schwulen Underground-Film »Pink Narcissus«. Den ganzen Monat spielt das Kino Klassikerfilme aus seinem Gründungsjahr, von Kubrick über Pakula bis Altman
7. bis 10. September, Ostseebad Ahrenshoop – Der Ballsaal des Hotels »The Grand« auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst lädt zum zwölften Mal zum Filmschauen ein. Es werden sechs Wettbewerbsbeiträge und zwei Filme aus dem Sonderprogramm gezeigt, die allesamt von Gesprächen mit den Filmschaffenden begleitet werden. Unter anderem ist im Wettbewerb auch »24 Wochen« zu sehen. Außerdem gibt es Livemusik, unter anderem von Tom Schilling & The Jazz Kids
»Sie würden wertlos sein ohne seine Musik.« So hoch wertet Roman Polanski den Einfluss des polnischen Komponisten Krzysztof Komeda auf seine Filme. Das Arsenal-Kino in Berlin veranstaltet in Kooperation mit dem polnischen Institut Berlin nun eine Retrospektive zu Komedas Arbeit, die passenderweise mit Polanskis »Tanz der Vampire« am 7.9. beginnt. Neben etlichen Werken des »Rosemaries Baby«-Regisseurs zeigt das Event weitere Filme, etwa von Jerzy Skolimowski oder Henning Carlsen
Was heutzutage undenkbar ist, war in den 90er Jahren noch vollkommen normal: Anderswo wird Fernsehgeschichte geschrieben – und in Deutschland bekommt es niemand mit. So geschehen im Fall von »Absolutely Fabulous«
So wie einst Dorothy im Wunderland von Oz oder Harry Potter in Hogwarts Zauberschule findet auch der Tokioter Halbwaisenjunge Ren Trost in einer magischen Parallelwelt, die von vermenschlichten Tierwesen bevölkert ist
Einfühlsam schildert der tunesische Regisseur Mohamed Ben Attia den Konflikt eines jungen, erfolglosen Vertreters, der aus seiner vorgezeichneten Existenz ausbrechen will, aber nicht weiß, ob er die Kraft dazu hat. Die Nahaufnahme eines bezeichnenden Schicksals wurde auf der Berlinale als bester Erstlingsfilm ausgezeichnet und erhielt einen Silbernen Bären für den Hauptdarsteller Majd Mastoura
Zu Gast in der Reihe "Was tut sich – im deutschen Film?": am 6. September spricht Nicolette Krebitz mit epd Film-Redakteur Rudolf Worschech über ihren Film »Wild«

Thema

Tödliche Konflikte, extreme Gefühle, weite Landschaften: »Mahana« ist klassisches episches Kino. Und für den Neuseeländer Lee Tamahori eine Rückkehr zu seinen Wurzeln. Mit Anke Sterneborg sprach der Regisseur über sein Werk
Mit der richtigen Mischung aus Blockbusterware und Independent-Filmen hat Shailene Woodley sich als eine der vielversprechendsten jungen Schauspielerinnen Hollywoods etabliert. Diesen Monat spielt sie eine Hauptrolle in Oliver Stones »Snowden«
Ganz Italien lacht über leichtverdauliche Kassenhits wie »Der Vollposten«. Ganz Italien? Es gibt noch ein paar Inseln, meint Georg Seeßlen, auf denen unabhängige Gewächse gedeihen
Männer in tödlicher Umarmung, rotes Blut auf hellem Sand, Clash der Kulturen und ein Cast von Tausenden: Größer als »Ben Hur« geht es kaum. Gerhard Midding über die Geschichte eines Stoffes, der schon zu Stummfilmzeiten populär war und jetzt von Timur Bekmambetov ­wieder ins Kino gestemmt wird
Unsere "steile These" des Monats September

Meldung

Das Rollenfach, mit dem er bekannt wurde, war der »High School Bully«, den Franco unter anderem in »21 Jump Street« (2012), »Superbad« (2007) und »Fright Night« (2011) spielte. Der jüngere Bruder von James Franco, 1985 geboren, begann seine Karriere relativ spät als 20-Jähriger in der TV-Serie »Eine himmlische Familie«, etablierte sich aber spätestens mit »Die Unfassbaren« als eigenständiger Kinostar
Das Festival von Locarno ist ein wichtiges Podium für den Independent-Film. Und ist bekannt für seine abendlichen Vorführungen auf der Piazza Grande – mit 8000 Zuschauern
Fatih Akin, 43, Regisseur, Autor, Produzent, hat zehn Spielfilme inszeniert – dramatisch (»Gegen die Wand«), komisch (»Soul Kitchen«) und alles dazwischen. Jetzt kommt seine Adaption des Bestsellers »Tschick« ins Kino

Filmkritik

Mit seiner Verfilmung von Wolfgang Herrndorfs Romanbestseller »Tschick« zapft Fatih Akin den inneren Jugendlichen an und erzählt auf wunderbar altmodische und wahrhaftige Weise von der großen Freiheit eines Abenteuersommers im geklauten Lada durch ostdeutsche Szenerien
Regisseur Thomas Lilti schleust Elemente eines Krebsdramas, eines Buddymovies und einer romantischen Komödie in »Der Landarzt von Chaussy«, seine Hommage an den ebenso zehrenden wie erfüllenden Alltag eines Landarztes
Ein Seefahrerfilm als emotionale Odyssee einer jungen Mechanikerin auf einem Frachter: »Alice und das Meer« birgt eine scheinbar simple Dreiecksgeschichte, die zugleich poetisch und genau vom Leben auf See, von Männer- und Frauenrollen, Freiheit und Einsamkeit erzählt
Sehenswertes Porträt des Filmemachers Rudolf Thome bei der Arbeit und zu Hause. Seine ehemalige Darstellerin und Assistenten Serpil Turhan kommt ihm mit dem zugeneigten Werk »Überall Blumen« sehr nahe
Timur Bekmambetovs Neuverfilmung ist kürzer als das Original, was ihm aber nicht zum Vorteil gereicht: Trotz erneut spektakulärer Wagenrennensszene und einer Seeschlacht, die aus der Perspektive der Galeerensklaven gedreht ist, fehlt es dem neuen »Ben Hur« schlicht am epischen Atem
Einfühlsam schildert der tunesische Regisseur Mohamed Ben Attia in »Hedis Hochzeit« den Konflikt eines jungen, erfolglosen Vertreters, der aus seiner vorgezeichneten Existenz ausbrechen will, aber nicht weiß, ob er die Kraft dazu hat. Die Nahaufnahme eines bezeichnenden Schicksals wurde auf der Berlinale als bester Erstlingsfilm ausgezeichnet und erhielt einen Silbernen Bären für den Hauptdarsteller Majd Mastoura
»Von Trauben und Menschen« ist eine stimmungsvolle, aber visuell eher im faden TV-Look gehaltene Doku über eine Gruppe von Saisonarbeitern auf den Weinfeldern rund um Toulouse
»24 Wochen« ist ein hervorragend gespieltes, packendes Drama über eine Frau, die sich entscheiden muss, ob sie ihr behindertes Kind austragen soll oder nicht
Das »Prequel« zur afroamerikanischen Präsidentschaft, in dem Michelle Robinson und Barack Obama sich kennenlernen: »My first Lady« ist ein rundum unterhaltsamer Film, in dem vor allem Tika Sumpter glänzt, die als Michelle ihrem späteren Ehemann Barack an Witz, Klugheit und menschlicher Reife in nichts nachsteht
Spielfilmdebüt mit großen Ambitionen und vielen narrativen Fehlern. Junger Arzt folgt seiner Exfreundin nach Portugal, um sich gänzlich in seiner Eifersucht zu verlieren. »Fado« ist dramatisch, realistisch und nachzuvollziehen, aber letztlich quälend vorhersehbar
»Viva« ist ein liebenswürdig inszeniertes Coming-of-Age-Drama um einen Drag-Sänger auf Kuba, der seinen Vater in den Tod begleitet
Ein sehr kleiner Mann umwirbt eine große Blondine: Die reizvolle Balance zwischen Alltagskomik und differenzierter Charakterzeichnung wird in dem modernen Märchen »Mein ziemlich kleiner Freund« leider durch den Rückgriff auf romantische Klischees beeinträchtigt
Großartige Studie über die vier großen Jahre der Beatlemania, als die Fab Four aus Liverpool die Welt mit ihren Konzerten im Sturm eroberten. Regisseur Ron Howard zeigt sich auch im dokumentarischen Bereich als versierter Handwerker, der in »The Beatles: Eight Days a Week« neue und alte Interviews sowie eine schier unglaubliche Menge Archivmaterials spannend und dynamisch zu montieren weiß
Klug verschachtelter Film über Cybermobbing, über Liebe, Freundschaft, Verlust und die Verbindung zwischen virtuellem und realem Leid. Das Klischee der unmoralischen Jugendlichen löst sich nicht zuletzt in der komplexen Geschichte von »LenaLove« auf
Der Traum eines jeden Heimkindes wird wahr: Michi findet die verschollen geglaubte Adresse seines Vaters. Im seinem Fall ist das die des kleinwüchsigen Tom, der ebenso wie Michi von dieser neuen Familienkonstellation überrascht wird. Eine spannende Zeit des Kennenlernens beginnt, und der Zuschauer ist bei »Auf Augenhöhe« mittendrin
Die als Schauspielerin geschätzte Karoline Herfurth führt zum ersten Mal Regie und verheddert sich mit »SMS für dich« bedauerlicherweise in den bewährten wie öden Spielregeln des Romantic-Comedy-Genres
Dokumentarfilm über die Vorarbeiten zur Hieronymus Bosch-Jubiläumsschau in 's-Hertogenbosch und Madrid. »Schöpfer der Teufel« ist unspektakulär, aber recht informativ, wenn man sich nicht nur für den Maler, sondern auch den modernen Museumsbetrieb interessiert
Dokumentarfilmer Alex Gibney folgt in »Zero Days« den Spuren des Computerwurms Stuxnet und entfaltet das Szenario einer neuen geheimen und potenziell verheerenden Art der Kriegführung. Dabei setzt er mehr auf die Oberflächenspannung eines Agententhrillers denn auf Differenzierung und Reflexion
Der erste Kinofilm der »AbFab«-Serienstars gerät zeitweise etwas angestrengt bei dem Versuch, ein »round up« der britischen Modeszene zu werden. Doch Witz und Originalität der gnadenlos hedonistischen Antiheldinnen sorgen auch in »Absolutely Fabulous« für Stimmung
Ein live ins Netz übertragenes Onlinespiel fordert Jugendliche dazu heraus, immer mehr zu riskieren und so die Sensationslust unzähliger Zuschauer zu befriedigen. Henry Joosts und Ariel Schulmans Romanverfilmung »Nerve« zeichnet aber nicht nur ein bitteres Bild einer sehr nahen Zukunft. Strahlende Farben und innovative Bilder verwandeln den Film in einen rauschhaften Trip
Mord und Totschlag, Ideologie und Charakter, der Atem der Geschichte, der das Leben subalterner Beamter zerbläst. »Das Geständnis« – die dritte Spielfilmregie des Schauspielers Bernd Michael Lade – bekannt geworden als Tatort-Hauptkommissar Kain – ist eine sehenswerte Kombination aus Kammerspiel und Polit-Polizeithriller, die von der Arbeit der Ostberliner Morduntersuchungskommission zwischen Juni 1988 und März 1990 erzählt. Alles andere als trocken
Checco Zalone ist in seinem vierten Kinoauftritt ein fauler Beamter, träger Macho und ein verwöhntes Muttersöhnchen. Der italienische Erfolgskomiker stellt seine Kunstfigur in »Der Vollposten« auf eine ulkige Bewährungsprobe: Liebe oder Festanstellung? Er hält den Torheiten seiner Landsleute einen vergnügten Zerrspiegel vor; allzu oft erschöpft sich sein Sarkasmus jedoch in flauen Klischees
In einer knallbunten Bonbonwelt verhandelt »Molly Monster« die entscheidenden Fragen junger Zuschauer: Wo wird mein Platz in der Familie sein, wenn das Baby angekommen ist? Und er gibt darauf Antworten, die zukünftigen großen Geschwistern Mut machen
»Dügün« ist ein differenziert und geduldig beobachtender Dokumentarfilm über die ungeschriebenen Gesetze einer türkischen Hochzeit
Eine über weite Strecken eher assoziativ gebaute Dokufantasie des Dänen Michael Madsen über den menschlichen Erstkontakt mit dem Außerirdischen. Bitte nicht mit M. Night Shyamalans gleichnamiger Horrorkomödie »The Visit – Eine außerirdische Begegnung« aus dem letzten Jahr durcheinanderbringen
Neuseeland in den frühen sechziger Jahren: Eine Maori-Familie zerbricht fast an dem autoritären und unnahbaren Patriarchen (Temuera Morrison). Regisseur Lee Tama­hori kehrte nach zwei Jahrzehnten nach Neuseeland zurück und inszenierte mit »Mahana« ein ­Familienepos wie einen Western
Zusammen mit beherzt komischen Schauspielerinnen wie Mila Kunis und Kathryn Hahn zetteln die »Hangover«-Autoren Jon ­Lucas and Scott Moore in »Bad Moms« unter Eigenregie eine vergnügliche Mütterrevolution gegen überzogene Ansprüche an Frauen an
Jeder will ein Stück vom Immobilienkuchen abhaben: Dokumentarfilmer Andreas ­Wilcke bringt in »Die Stadt als Beute« Altmieter, Investoren, Käufer, Planer und sogar den Berliner Oberbürgermeister vor die Kamera und gibt spannende Einblicke in einen Wohnungsmarkt »unter Druck«
Aus dem »Mechanic«, dem von Jason Statham gespielten Profikiller, wird in diesem unpersönlichen Sequel eine Art proletarischer James Bond. Statt in moralische Grauzonen führt einen Regisseur Dennis Gansel in eine Fantasie-Welt, in der eine Jungfrau in Nöten von einem schwarzen Ritter gerettet wird
Tetsuo ist ein erfolgloser Filmemacher, der mit 39 Jahren immer noch bei seiner Mutter wohnt und sich als Lehrer für untalentierte Möchtegernschauspieler über Wasser hält. »Lowlife Love« ist eine groteske Slacker-Komödie über die Unmöglichkeit eines selbstbestimmtem Filmkünstlerdaseins in der leistungsorientierten japanischen Metropole Tokio
Wie werden die Kriege der Zukunft aussehen, wie ihre Waffen? Und was macht das mit der Welt und mit uns? Fragen, auf die auch Karin Jurschicks kluger Film »Krieg & Spiele« keine Antworten weiß. Platter Polit-Aktivismus ist er zum Glück auch nicht. Stoff zum beunruhigten Nach- und Weiterdenken gibt es dafür mehr als genug
»Suicide Squad« ist ein zu Beginn noch recht amüsantes Superschurken-Abenteuer, das schließlich vor allem an seiner oberflächlichen Figurenzeichnung und einer Tendenz zu unappetitlichem Macho-Militarismus scheitert

Film