05/2016

»Fuck you, Hollywood!« – Independent-Kino: gibt es das noch? Und woran ist es zu erkennen? Zum Auftakt unserer neuen Serie: ein Blick in die USA, wo die Szene gerade schöne Blüten treibt +++ 

»Überzeugender Auftritt« – Dämonisch in »Schindlers Liste«, nobel als »Englischer Patient«, sexy bei Kathryn Bigelow und geschäftsmäßig als neuer »M« in den Bond-Filmen: Ralph Fiennes ist einer der ganz Vielseitigen. So gelöst wie in dem ungewöhnlichen Thriller »A Bigger Splash«, der jetzt anläuft, hat man ihn aber noch nie gesehen +++ 

Filme des Monats: »A Bigger Splash« | »Queen of Earth« | »The Witch« | »Junges Licht« | »Schrotten!« | »Ein Hologramm für den König« +++

In diesem Heft

Tipp

31. Mai bis 6. Juni, Hamburg – Mit 300 Kurzfilmen aus mehr als 40 Ländern startet Ende Mai in den Hamburger Kinos und auf dem Kolbenhof das 32. Internationale KurzFilmFestival Hamburg. In fünf Wettbewerben, fünf Sonderprogrammen und vielen weiteren Veranstaltungen sollen experimentelle und außergewöhnliche Kurzfilme zu sehen sein
19. und 20. Mai, Zürich – Die Tagung ZDOK.16 beschäftigt sich mit verschiedenartigsten Formen des Reenactments im Dokumentarfilm. Das Reenactment als »Wiederherstellung« von vergangenen Ereignissen hat eine lange Tradition im Dokumentarfilm; verschiedene Spielformen des Genres werden sowohl aus der Macher/innen-Perspektive als auch aus theoretischer Sicht zur Diskussion gestellt
5. bis 15. Mai, München – Das DOK.fest stellt jährlich ungefähr 140 künstlerisch wertvolle und gesellschaftlich relevante Dokumentarfilme vor. Zahlreiche Filmemacher stellen ihre Werke persönlich zur Diskussion. Wie jedes Jahr wird ein Gastland präsentiert, außerdem gibt es eine Retrospektive, eine Open-Air-Reihe und ein Programm ausgewählter Hochschulfilme
5. bis 10. Mai, Oberhausen – Im Mittelpunkt der 62. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen stehen fünf Künstlerprofile: die erste europäische Retrospektive der filmischen Arbeiten des chinesischen Künstlers Sun Xun sowie Profile von Josef Dabernig, Raquel Chalfi, Jeanne Faust und Anne Haugsgjerd. Für die fünf Wettbewerbe der Kurzfilmtage wurden 151 Filme aus 39 Ländern ausgewählt
4. bis 29. Mai, Düsseldorf – Das Düsseldorfer Filmmuseum lädt mit einer abwechslungsreichen Zusammenstellung russischer Autorenfilme der letzten zwei Jahre zu seinen Russischen Filmtagen 2016 ein. Die Filme sollen Einblicke in die Gesellschaft Russlands und in ihre kulturellen und politischen Diskurse verschaffen
3. bis 8. Mai, Schwerin – Das filmkunstfest MV in Schwerin zählt mit seinen durchschnittlich 18 000 Besuchern zu den wichtigsten Filmfestivals in Deutschland Norden und präsentiert in diesem Jahr auf sechs Leinwänden rund 120 deutschsprachige Kinofilme
Yorgos Lanthimos' »The Lobster« hält dem Paarungsverhalten im digitalen Zeitalter einen absurd-komischen Spiegel vor
Zwei Veranstaltungen im Mai: am 3.5. Max Zähle mit »Schrotten!«, am 4.5. die HR-Redakteure Liane Jessen und Jörg Himstedt
Simon Jacquemets furioser Debütfilm über eine Jugendbande überzeugt durch seine Bildsprache, zeigt aber auch Defizite in der Betrachtung des sozialen Milieus

Thema

Independent-Kino: gibt es das noch? Und woran ist es zu erkennen? Zum Auftakt unserer neuen Serie: ein Blick in die USA, wo die Szene gerade schöne Blüten treibt
Dämonisch in »Schindlers Liste«, nobel als »Englischer Patient«, sexy bei Kathryn Bigelow und geschäftsmäßig als neuer »M« in den Bond-Filmen: Ralph Fiennes ist einer der ganz Vielseitigen. So gelöst wie in dem ungewöhnlichen Thriller »A Bigger Splash, der jetzt anläuft, hat man ihn aber noch nie gesehen
Der deutsche Fernsehfilm wird immer brisanter und tagesaktueller. Mit dem von prominenten Regisseuren inszenierten Dreiteiler »Mitten in Deutschland« über die Verbrechen des NSU hat die ARD gerade eine neue Marke gesetzt. Wer die Serie im Fernsehen verpasst hat, kann sie direkt auf DVD nachholen
Unsere "Steile These" des Monats Mai
Der Bergarbeiter, den Charly Hübner aktuell in Adolf Winkelmanns »Junges Licht« spielt, passt gut ins Bild. Der Charakterdarsteller aus Mecklenburg weiß nämlich, wie man eine Rolle erdet

Meldung

Frank Arnold im Gespräch mit Robert Eggers zu seinem Film »The Witch«
Mit Frank Arnold sprach Bruno Podalydes über seinen Film »Nur Fliegen ist schöner«
Karoline Herfurth, 31, international bekannt geworden mit dem »Parfum«, ausgezeichnet für »Im Winter ein Jahr«, jetzt in »Rico, Oskar und der Diebstahlstein« zu sehen; im September startet ihr Kinodebüt als Regisseurin: »SMS für dich«
Die Bedrohung der Familie – von außen oder innen – in Apokalypse-artigen Umständen ist zentrales Thema der diesjährigen Fantasy Film Nights in Hamburg und Frankfurt

Filmkritik

Eine Bande korrupter Cops wird von der Russenmafia zu einem gefährlichen »letzten Coup« gezwungen. John Hillcoats »Triple 9« ist ein überkonstruierter Thriller, den auch die hervorragende Besetzung (Kate Winslet) nicht retten kann
Lena sitzt im Rollstuhl und kommt in eine neue Sonderschule. »Lenas Klasse« ist ein Film zwischen befreiender Coming-of-Age-Stimmung und erschütternder quasidokumentarischer ­Sozialstudie
Die 17-jährige Layla wird ungewollt schwanger und verliert dadurch erst einmal alles, was sie sich selbst aufgebaut hatte. Micah Magees Spielfilmdebüt »Petting Zoo« ist reinster amerikanischer Neorealismus und zugleich ein Triumph eines Independent-Kinos
Die Lebensgeschichte Bobby Fischers, der 1972 als erster Amerikaner den russischen Schachweltmeister schlug. Leider bleibt »Bauernopfer« ohne eigene Akzentsetzungen
Zu behaupten, »Victor Frankenstein« sei ein Ärgernis, ginge angesichts des hochkarätigen Ensembles zu weit. Doch enttäuschend ist es schon, dass statt des versprochenen modernisierten Klassiker-Updates bloß alter Wein in lieblos zusammengeflickten und mit unnötigen Mätzchen verzierten Schläuchen geboten wird
Der chinesische Unternehmer Jonathan Pang und die Stadt Parchim – da wollen Hoffnungen auf regionale Entwicklung und der Glaube an die Durchsetzungskraft großer Investitionen nicht zusammenkommen. »Parchim International« ist eine tragikomische Lehrstunde über die Globalisierung
»Urmila – für die Freiheit« ist ein impressionistisch montierter poetischer und kämpferischer Dokumentarfilm über junge Frauen in Nepal, die sich mit Selbsthilfe und Unterstützung internationaler NGOs aus der Sklaverei befreien
Der als Seifenoper mit Fantasyeffekten ausgestattete Jesusfilm »Der junge Messias« wird als Familien- und Kinderfilm angepriesen. Ein vermeintlich kindgerechtes Machwerk, das alle Register zieht, um eine Marktlücke zu stopfen
»Frauen« ist eine Komödie über drei Männer auf Roadtrip durch die deutsche Provinz. Platte Kalauer, schlechtes Timing und eine amateurhafte Optik sorgen für Kopfschütteln
Omer Fasts Verfilmung des Romans »Remainder« von Tom McCarthy über einen jungen Mann, der sein Gedächtnis verloren hat und es mit Hilfe aufwendiger Reenactments zu rekonstruieren versucht, überzeugt in reizvoll-bizarren Szenen von »Erinnerungsarbeit«, bleibt aber insgesamt etwas steril
Mit dem Kajak in die Freiheit: Unter der Regie von Bruno Podalydès wird das Midlife-Crisis-Abenteuer »Nur Fliegen ist schöner« zur sommerlich leichten Komödie der Irrungen und Wirrungen
Mit skurrilem Charme beschwört »Sing Street« die Kraft der Musik in Zeiten pubertärer Ausweglosigkeit anhand einer Dubliner Schülerband in den 80ern. Ein hemmungsloser und höchst effizienter »Crowd-Pleaser«. Sympathischer kann ein Film kaum sein
»La belle saison« ist das Melodram eines lesbischen Coming-outs zwischen Paris und der ländlichen Provinz: Catherine Corsini inszeniert eine glänzend besetzte Liebesgeschichte mit zärtlichem Blick für Körper und Landschaften
»Hope for All« ist ein bewusst einseitiger Dokumentarfilm, der gegen den massenhaften Fleischkonsum kämpft und dabei kein Schockmoment auslässt
»Schrotten!« ist eine sympathische Prollkomödie um zwei ungleiche Brüder, die sich finden müssen – auf einem Schrottplatz. Mit Lucas Gregorowicz im Anzug und Frederick Lau in Bomberjacke
Nach dem Tod ihres Bandleaders sehen sich zwei Altrocker mit der Frage konfrontiert, wie es weitergehen soll. »Ich bin tot, macht was draus!« ist ein belgisches Roadmovie, dessen Narration zahlreiche vordergründig sinnfreie Um-, Irr- und Holzwege nimmt, um dann doch in eine schlüssige Erzählung über den Wert wahrer Freundschaft zu münden
Mit zu viel bequemem Wohlwollen und zu wenig Inspiration wird in dem Film­porträt »Die Poesie des Unendlichen« versucht, das indische Mathematikgenie Srinavasa Ramanujan zu würdigen
Die Chronik einer heiklen Männerfreundschaft: Roschdy Zem porträtiert in »Monsieur Chocolat« den ersten schwarzen Clown und seinen weißen Partner, die die Geschichte des Zirkus revolutionieren, aber an den Vorurteilen ihrer Epoche scheitern
Eine Teenagergeschichte zwischen Horrorfilm und Coming-of-Age-Drama: Eine 17-Jährige wird von einem hässlichen Alptraumwesen heimgesucht und droht sich in ihrer Angst zu verlieren. »Der Nachtmahr« ist ein wunderbar vieldeutiger Rausch aus Bildern und Beats
Ein gescheiterter amerikanischer Businessman soll dem saudi-arabischen König ein Telefonkonferenzsystem andrehen. Tom Tykwers Verfilmung des Dave-Eggers-Romans »Ein Hologramm für den König« wird hier zur lauwarmen Komödie, statt mit Globalisierungskritik zu punkten
Mitten hinein in den Strudel der Gefühle: Vital und quirlig, depressiv und lebenslustig, liebenswert und romantisch stürzt sich Laura Lackmann zusammen mit ihrer hinreißenden Darstellerin Claudia Eisinger in die Verfilmung von Sarah Kuttners gleichnamigem Romandebüt »Mängelexemplar«
Zwei vietnamesische Mädchen müssen sich in Halle eine Zeit lang allein durchs Leben und die Bürokratie schlagen. Hilfe kommt von einer Freundin. »Ente gut!« ist ein charmanter Kinderfilm
Eine labile Frau verbringt eine Woche im Landhaus ihrer besten Freundin, wo die Freundschaft bald zu bröckeln beginnt. Formal entschieden inszeniert Indie-Filmer Alex Ross Perry die intime Charakterstudie »Queen of Earth« als Psychodrama mit Stilmitteln des Horrorfilms
Vier Angestellte müssen ihre Führungsqualitäten bei einem Überlebenstraining in freier Wildbahn unter Beweis stellen. »Outside the Box« ist eine unglaubwürdige Komödie über Absurditäten in der modernen Dienstleistungskultur
»Ein Leben für die Kunst« ist das Porträt einer komplexen Persönlichkeit. Peggy Guggenheim wird sichtbar als Exzen­trikerin, als emanzipierte Frau und obsessive Sammlerin
Adolf Winkelmanns melancholischer, aber nie sentimentaler Film »Junges Licht« über das Coming-of-Age eines 12-Jährigen im Ruhrpott der 60er Jahre ist eine bittersüße Milieustudie und ein Sittenbild der alten Bundesrepublik
Alte-Männer-Fantasie über ihresgleichen zum Fremdschämen, die abstoßender nicht sein könnte. Drei Männer fahren in »Happy Hour« nach ­Irland, um plumpe Peinlichkeiten von sich zu geben
Das filmische Porträt »Wer hat Angst vor Sibylle Berg?« von Sigrun Köhler und Wiltrud Baier zeigt Facetten einer komplexen Persönlichkeit und unorthodoxen Autorin, unterhaltsam inszeniert mit saloppem, improvisiert anmutendem Ton
Die Komödie »Mein Praktikum in Kanada« ist ein zwischen Haiti und Kanada angesiedeltes »Mr. Smith Geht nach Washington« mit eher schalem Humor und einem Drehbuch, das die Brisanz der geopolitischen Gemengelage leider verschenkt
»Die Prüfung« ist ein Dokumentarfilm über die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule in Hannover, dessen Schwerpunkt weniger auf den Bewerbern als auf den Mitgliedern der Prüfungskommission und ihrem Ringen um adäquate Beurteilungen liegt
Simon Jacquemets furioser Debütfilm »Chrieg« über eine Jugendbande überzeugt durch seine Bildsprache, zeigt aber auch Defizite in der Betrachtung des sozialen Milieus
Endlich wieder ein Horrorfilm, der dem Genre Ehre macht: »The Witch« feiert das Unheimliche und Irrationale und gibt gleichzeitig schwer zu denken. Im historischen Gewand erweist sich der Schrecken bei näherer Betrachtung als durchaus gegenwärtig
Der letzte Teil der Rico-und-Oskar-Geschichten nimmt uns diesmal mit an die Ostsee. Großartige Schauspieler machen auch dieses abschließende Abenteuer wieder zu einem unterhaltsamen Vergnügen
»A Bigger Splash«, das Remake von Jacques Derays »Swimming Pool«, führt nicht nur vier Verlorene auf Kollisionskurs, Luca Guadagnino erweitert auch den Blick und erzählt voll bösem Witz vom traurigen Scheitern linker Utopien
Opulentes Realfilm-Remake des gleichnamigen Disney Zeichentrickmusicals aus dem Jahr 1967 mit digitalen Tieren als Protagonisten. Der Realitätsanspruch des Films bedeutet aber auch, dass die oft grausam erscheinenden Regeln der Tierwelt Einzug in das sonst so behütete Disneyuniversum halten
»The Huntsman & The Ice Queen«, die Fortsetzung des düster aufgepeppten Schneewittchenmärchens, wirkt wie holprige, aus Fantasy-Versatzstücken zusammengestoppelte Fanfiction. Während das Schneewittchen vollkommen abwesend ist, werden mit der neu eingeführten Eiskönigin als Schwester der bösen Königin Ravenna zwar opulente Schauwerte aufgeboten, doch auch diese können die inkohärente Handlung nicht vergessen machen

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