Kritik zu Zama

Trailer OmeU. © TIFF/Grandfilm

Nach langer Pause meldet sich Lucrecia Martel (»La Ciénaga«, »Die Frau ohne Kopf«) mit einem so eigenwilligen wie faszinierenden Werk ­zurück. Ihre Verfilmung eines Romans von Antonio di Benedetto führt in die Welt eines spanischen Kolonialbeamten in der argentinischen Provinz, Ende des 18. Jahrhunderts

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So macht Kolonialismus keinen Spaß: Seit Jahren schon harrt Don Diego de Zama, seines Zeichens Corregidor, Verwaltungs- und Justizbeamter der spanischen Krone, in einem gottverlassenen Nest an der Küste Argentiniens aus. Von Frau und Kindern hat er seit vierzehn Monaten nichts gehört, sein Lohn steht ebenfalls aus, und er scheint wenig zu tun zu haben außer auf den einen, erlösenden Brief des Königs zu warten, der ihn endlich abberuft. Von der ersten Minute an, wenn er mit Dreispitz und Degen wie ein Fremd­körper am öden Strand steht und in die Ferne schaut, sehen wir Zama von Schwermut und Überdruss gezeichnet, und seine Melancholie imprägniert den gesamten Film.

Neun Jahre waren seit Lucrecia Martels letztem Werk »Die Frau ohne Kopf« vergangen, als sie bei den Filmfestspielen von Venedig 2017 »Zama« vorstellte, die Adaption eines Romans von Antonio di Benedetto aus dem Jahr 1956. Seither hat der von Prominenten wie Pedro Almodóvar, Danny Glover und ­Gael García Bernal mitproduzierte Film weltweit zahlreiche Preise gewonnen und ist für Argentinien ins Oscar-Rennen gegangen. Doch so ein klarer Kunstfilm-Siegertyp ist er nicht – er polarisiert.

Das Tragische und das Absurde liegen in Zamas Welt so eng beieinander, dass bisweilen kaum zu erkennen ist, in welche Richtung und in welche Stimmung der Film mit einem will. Ist seine Hauptfigur vordergründig eine Respektsperson, steht sie doch längst mit einem Bein in der Lächerlichkeit. Zama wird von einheimischen Frauen, die er beim Baden beobachtet, entdeckt und regelrecht gejagt, sogar sein Assistent wagt es, ihn auszulachen. Die wechselnden Gouverneure, seine Chefs, behandeln Zama erst recht wie einen Idioten. Vom spanischen Schauspieler Daniel Giménez Cacho mit ­einer nie wirklich sympathischen und doch berührenden Mischung aus Stolz und zähneknirschender Unterwürfigkeit großartig gespielt, lässt Zama dies alles über sich ergehen. Denn jedes Widerwort, jede Überreaktion könnte seine Versetzung gefährden.

Seine Welt inszeniert Martel als von krassen Gegensätzen beherrscht. Schon die Insignien der Kolonialherren, ihre Uniformen, die schlecht sitzenden Perücken und die noch entfernt ans Höfische erinnernden, doch längst abgeschliffenen Umgangsformen, wirken fehl am Platz in den einfachen bis heruntergekommenen Häusern, in der ständigen Hitze. Die Herren dieser Welt könnten nicht fremder und sinnloser in ihr wirken. Und ihre Herrschaft über die schwarzen Sklaven und die indigene Bevölkerung scheint durchaus schon etwas brüchig.

Die Tristesse der Szenerie fängt der Film in meist statischen, wunderbar komponierten Einstellungen ein, die Ruhe und Nüchternheit suggerieren. Der insistierende Blick der Kamera und der Sinn für Details, mit dem hier eine vergangene Epoche entfaltet wird, erinnern an einen anderen herausragenden Historienfilm jüngster Zeit, Albert Serras »Der Tod von Ludwig XIV.«. Zugleich aber ist es fast provozierend, wie viele Leerstellen die elliptische Erzählweise lässt und somit das beständige Interpretieren und Hinterfragen des Betrachters fordert.

So stellt sich bald auch der scheinbare Realismus der Inszenierung als trügerisch heraus. Für sanfte Irritation sorgen etwa die latin-jazzigen Gitarrenstücke aus dem 20. Jahrhundert, die aber insofern passen, da sie von »Los Indios Tabajaras«, zwei Häuptlingssöhnen aus Brasilien, gespielt werden. Bizarrer sind da schon ein verstörender Drone Sound, der ganz unvermittelt die Umgebungsgeräusche verschluckt; oder das Lama, das plötzlich hinter Zama im Raum steht und neugierig zuschaut, wie ­dieser beim Gouverneur wieder mal vergeblich auf gute Neuigkeiten hofft. Allzu ominös und rätselhaft klingen auch einzelne Dialoge. Stammen diese Szenen vielleicht eher aus Zamas Träumen?

In jedem Fall, und auf durchaus beunruhigende Weise, beherrscht die subjektive und schon etwas mürbe Wahrnehmung des Antihelden den Film – als fintenreiche Übersetzung der Ich-Erzählung des Romans in audiovisuelle Mittel. Da wir aber die ­Perspektive des Kolonialbeamten einnehmen, sind Indios und Sklaven selbstverständlich nur Randfiguren. Und doch findet der Film Wege, stets auch den Blick der ­Unterdrückten in den Film hineinzuschmuggeln und ihre Rolle zu reflektieren, etwa durch geschickte Kadrierung und subtile Wiederholungen. Auch krasses Unrecht und Folter werden klar benannt, doch der Irrsinn der kolonialen Ordnung, die Zama vertritt, offenbart sich vielleicht noch eindrucks­voller in der Kaputtheit der Herrenrasse.

Irgendwann – es muss noch einmal viel Zeit vergangen sein, das zeigt sein Vollbart – verliert Zama die Geduld. Er schließt sich den Soldaten einer Strafexpedition an, die eine Räuberbande unschädlich machen soll. So will er doch noch seine Versetzung erreichen. Und der Film nimmt mit der Reise durch Urwälder und Sümpfe eine noch düsterere Tönung an, während seine Farben immer kräftiger werden, die Bilder immer halluzinatorischer. Die Jagd auf den berüchtigten Räuber Vicuña wird zu einem Trip ins Herz der Finsternis – wo Tragik wie auch böse Ironie noch einmal auf die Spitze getrieben werden.

Laut Lucrecia Martel handelt »Zama« für sie in erster Linie von einem Mann, der in seiner Vorstellung von sich selbst gefangen ist und nicht aus ihr ausbrechen kann. ­Zumindest ansatzweise gesteht sie der Hauptfigur ihres Films am Ende zu, dies zu erkennen. Und verweist damit auch auf jene Zeit, in der ihre Geschichte spielt, auf die Epoche der Aufklärung mit ihrer Hoffnung auf den »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit«. Die Welt von Zama scheint nach solcher ­Erlösung durch die Klarheit der Vernunft zu lechzen. Die abgründige Farce des Diego de Zama freilich lässt sich nicht einfach in eine Parabel auf den Kolonialismus oder ­eine philosophische Strömung auflösen. Sie behält etwas widerständig Vieldeutiges und bleibt im besten Sinne befremdlich.

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