Kritik zu Widows – Tödliche Witwen

© 20th Century Fox

Ihre Ehemänner sind tot, ihre Existenz ist zerstört – um aus der Notlage herauszufinden, müssen sich vier Frauen für einen Coup zusammenfinden. Steve McQueens erster Film nach »12 Years a Slave« ist Psychogramm, Heist-Movie und gesellschaftskritischer Kommentar in einem

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Wenn Veronica (Viola Davis) die Augen weit öffnet, scheinen ihre Wimpern fast die Brauen zu berühren. Besonders im Profil kommen Länge und Dichte dieser Naturbeflaggung zur Geltung – und der trauerumflorte Blick darunter. Veronica hat nämlich kürzlich ihren Ehemann verloren: Ein Raubüberfall ging schief; alle Beteiligten verbrannten samt der Beute – zwei Millionen US-Dollar – in einem Lieferwagen. Eben sah man Veronica und Henry noch gemeinsam im Bett zärtlich Küsse tauschen: als schwarz-weißes Paar quasi Inbegriff einer Liebe, die alles überwindet. Nun beugt der Gram Veronicas Schultern. Dass die Frau von den kriminellen Aktivitäten ihres Mannes keine Ahnung hatte, macht es nicht leichter.

Veronica ist die zentrale Figur im neuen Spielfilm von Steve McQueen. Der deutsche Verleih entschied sich für den reißerischen Titel »Tödliche Witwen«, was coole Powerfrauen in Schwarz suggeriert, die irgendwie Rache nehmen. Im Original heißt diese Regiearbeit einfach »Widows«, was der tragischen, existenziell müden Stimmung der Hauptprotagonistin zwischen Schockstarre und Verzweiflung deutlich näher kommt. Denn Veronica hat nicht einfach nur ihren Mann verloren – bald muss sie auch ihr Leben mit ihm neu bewerten. Zunächst wird sie für die zwei Millionen, die Henry (Liam Neeson) mit zwei Kumpanen gestohlen hat, brutal haftbar gemacht vom Geschädigten, dem afroamerikanischen Stadtratskandidaten Jamal Manning (Brian Tyree Henry). Veronica braucht also einen Plan, um aus dieser lebensgefährlichen Situation herauszufinden.

»Widows« ist McQueens erster Film seit »12 Years a Slave« (2013) und beruht lose auf der gleichnamigen britischen Serie, die erstmals 1983 ausgestrahlt wurde. McQueen hat das Drehbuch gemeinsam mit Gillian Flynn (»Gone Girl«, »Sharp Objects«) geschrieben und offenbar nicht weniger als ein Gesellschaftsbild im Sinn gehabt. »Tödliche Witwen« wird als Heist-Movie beworben, transzendiert das Genre aber sowohl durch die für McQueen typische stark suggestive Inszenierung als auch durch die organisch in die Handlung eingebetteten Kommentare zu Politik, Geschlechterbeziehungen, Ethnien und Klassen.

Ort des Geschehens ist Chicago: Die anstehenden Stadtratswahlen im Allgemeinen und die Konkurrenz zwischen dem weißen Kandidaten Jack Mulligan (Colin Farrell) und dem Afroamerikaner Jamal im Besonderen bilden den Rahmen für das Porträt eines Stadtviertels, das durch Rassismus, Gang-Gewalt, Arbeitslosigkeit und alltägliche Korruption geprägt ist. Verbrechen und Politik sind unauflöslich verknüpft. In diesem Umfeld muss sich die kultivierte Veronica (eine großartige Rolle für Davis) zurechtfinden, wenn sie am Leben bleiben will.

Zu den vielen Themen, die dieser Film anreißt, gehört auch die Ökonomie der Beziehungen zwischen Männern und Frauen, das Problem des klassischen Versorgungsmodells. Ist Veronica hier lange die Ahnungslose, so repräsentieren die beiden anderen Witwen klassische Opfergeschichten. Linda (Michelle Rodriguez) hatte einen Laden, den ihr Mann ohne ihr Wissen verzockt hat. Und Alice (Elizabeth Debicki) wurde misshandelt von ihrem nun toten Lebensgefährten; jetzt will ausgerechnet die eigene Mutter, dass sie »nett zu Männern« ist.

Die drei Frauen haben nichts gemeinsam außer dem Totalverlust ihrer bisherigen Existenz, der sie zu einer Notgemeinschaft zusammenschweißt. Gemeinsam mit einer vierten (Cynthia Erivo) als Fluchtwagenfahrerin wollen sie fünf Millionen Dollar rauben. Viel mehr als ein Heist-Movie ist »Tödliche Witwen« ein Film über Frauen, die durch den Tod ihrer Männer existenziell in Schwierigkeiten geraten, als Anfängerinnen in eine ihnen fremde Branche rutschen und alle Energie mobilisieren müssen, um nicht zu scheitern. Die allein schon physischen Mühen der Vorbereitungen für den Raubzug werden von der Regie ebenso sensibel gewürdigt wie der latente Widerwille der drei Beteiligten, überhaupt kriminell zu agieren. Doch sie haben tatsächlich keine Wahl. Und so überzeugt dieser Film denn auch eher als düsteres Dreifachporträt von Antiheldinnen, die sich entschlossen aus ­ihrer Statusfatalität herausarbeiten, denn als Thriller.

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