Kritik zu Viva la libertà

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Nach Il Divo – Der Göttliche brilliert Toni Servillo erneut in der Rolle eines Politikers. Diesmal nicht in einem Schlüsselfilm über die italienische Parteienlandschaft. Oder doch?

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Eine Angst, die vermutlich einen Großteil der Politiker umtreibt, ist es, ersetzbar zu sein. Nicht weniger verbreitet mag der Wunsch sein, endlich einmal keine Rücksichten mehr nehmen zu müssen und frei von der Leber weg sprechen zu dürfen. Aber wie viele Mitglieder dieser Kaste besitzen noch die innere Freiheit, mit den Regeln zu brechen und sich auf die Ideale ihrer Anfänge zu besinnen?

Ein so schonungsloses wie kluges Schicksal will es, dass Enrico Oliveri (Toni Servillo) gleich mit mehreren Gewissensprüfungen konfrontiert wird. Er ist der Führer der oppositionellen Linken in Italien; ihr Hoffnungsträger ist er beileibe nicht. Eine tiefe Schwermut hat ihn ergriffen, die sich nicht allein den schlechten Umfragewerten verdankt. Ohne Vorwarnung nimmt er sich eines Tages eine Auszeit. Während sich seine verzweifelte ­Entourage bemüht, Herr der Lage zu bleiben, sucht er unentdeckt in Paris Zuflucht bei dem Scriptgirl Danielle (Valeria Bruni-Tedeschi), mit dem ihn eine verlorene Liebe und eine bewahrte Freundschaft verbindet.

Oliveris Assistent Andrea (Valerio Mas­tandrea) hofft, von Enricos Zwillingsbruder Giovanni einen Hinweis auf dessen Verbleib zu erhalten. Als dessen Double scheint er denkbar ungeeignet, denn er wurde gerade aus der Psychiatrie entlassen. Gleichwohl hat er große Lust, die Rolle zu übernehmen. Andrea wird zunächst angst und bange bei dem Gedanken, in der Krise auf diesen Unberechenbaren zu setzen. Aber dessen Unverblümtheit erweist sich als unschätzbares Wahlgeschenk. Während Enrico in Frankreich also Danielle zu Dreharbeiten folgt (und sich dabei als patenter Requisiteur erweist), nimmt sein Bruder in Rom nonchalant das Heft in die Hand. Die Opposition ist begeistert, dass sich der ehemalige Karrierepolitiker zum furchtlosen Instinktpolitiker gewandelt hat. Der Narr entpuppt sich als der bessere König.

Toni Servillo besitzt ein besonderes Talent für die Förmlichkeit von Gesten und deren galanten Widerruf: Die beherrschte Depression Enricos geht ihm ebenso leicht von der Hand wie die somnambule Entschlossenheit Giovannis. Beiden verleiht er Hintergründigkeit. Sein Regisseur Roberto Andò weiß, dass das Spiel mit der Verwechslung keine wirklich originelle Prämisse für eine Politsatire ist, und er weiß vielleicht auch, dass das Filmmilieu eine etwas denkfaul evozierte Gegenwelt darstellt. Dennoch erscheint zauberhaft, wie er Chaplins Der große Diktator seine Reverenz erweist. Die Analogien zwischen Politik und Kino zieht er nicht leichthin. Erfreulich wenige Pointen und Wendungen tragen den Makel der Vorhersehbarkeit. Andò geht es nicht um eine karnevaleske Abrechnung mit dem Politgeschäft. Er nimmt die Konsequenzen der Täuschung ernst. Der Schwindel bringt Wahrheiten und legitime Sehnsüchte ans Licht. Seine dramaturgische Bewegung führt den Film mit sanfter Unerbittlichkeit vom Öffentlichen zum Privaten. Das verschmitzt eingesetzte Leitmotiv dazu stammt aus Die Macht des Schicksals: jener Oper über einen erbittert ausgetragenen Geschwisterkonflikt, die Giuseppe Verdi einst nach einem kurzen, aus Verdrossenheit beendeten Abstecher in die Politik komponierte.

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