Kritik zu Virgin Mountain

© Alamode

Ein Film mit mächtig viel Sympathiepunkten für den Titelhelden: Fúsi ist Mitte vierzig, sehr dick, ein wahrer Berg von Mann. Aber immer noch nicht richtig erwachsen

Bewertung: 4
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4 (Stimmen: 1)

Es gibt viele Wege, sich die Welt vom Leib zu halten. Nicht mehr zur Arbeit zu gehen und sich stattdessen in einem Schrank zu verstecken, ist einer – der hübschen Sjöfn (Ilmur Kristjánsdóttir) passiert das schon mal. Unglaublich dick zu sein, ist ein anderer: Fúsi (Gunnar Jónsson) ist der titelgebende »Virgin Mountain«, ein gutmütiger Berg von Mann, der – obschon Mitte vierzig – noch nie eine Freundin hatte und noch immer bei seiner Mutter lebt. In seiner Freizeit spielt er am liebsten mit Spielzeugsoldaten und stellt berühmte Schlachten nach. Fúsi ist eine Kinderseele, hilfsbereit, ehrlich und unschuldig wie zuletzt Forrest Gump. Aber auch einsam und ein Außenseiter. Einer, der nicht wahrgenommen wird als Mann, der immer nur »der Dicke« ist.

Gunnar Jónsson leiht ihm seinen mächtigen Körper und spielt Fúsi als so gutmütigen Menschen, dass man den Sonderling ins Herz schließt. Dabei könnte das einsame Muttersöhnchen mit der Vorliebe für Kriegsspiele und Heavy-Metal-Musik auch ein gefährlicher Spinner sein. Der Film deutet das Abgründige und Düstere dieses Außenseitertums immerhin an. »Danke, dass du mich nicht umgebracht hast«, sagt etwa Sjöfn scherzhaft zu Fúsi, nachdem sie sich von dem unbekannten Riesen in einem Schneesturm nach Hause hat fahren lassen. »Gern geschehen«, antwortet Fúsi lapidar. Und so unbewegt bleibt seine Miene, dass nicht klar ist, ob er um die Komik seiner Antwort weiß oder nicht.

Fúsis äußerliche Ungerührtheit ist immer wieder witzig und rührend, vor allem wenn dieses große, massige Kind auf die Herausforderungen des Erwachsenenlebens reagiert: etwa als der verliebte Fúsi von Sjöfn das erste Mal zum Tee heraufgebeten wird an einem Abend, er zunächst ablehnt und flieht und dann wiederkommt: Er trinke keinen Tee, möge lieber Milch.

Der isländische Regisseur Dagur Kári (»Ein gutes Herz«, »Noi Albinoi«) erzählt seine Geschichte unaufgeregt, vertraut ganz seinen leicht skurrilen Figuren, um deren Schwächen er weiß, die er aber trotzdem voller Zuneigung beobachtet. Und Fúsi ist ein Held, wie man ihn lange nicht mehr auf der Leinwand gesehen hat. Wenn er ein einsames Nachbarsmädchen bei sich spielen lässt – mit seinem Kriegsspielzeug! – ist das menschlich so überzeugend, dass er zum Maßstab für seine Umwelt wird.

Unaufdringlich überzeugend ist auch die Kamera von Rasmus Videbaek. Am Anfang zeigt er Fúsi bei seiner Arbeit am Flughafen: in seinem Gepäcktransportwagen mit Kopfhörer und in einer Totalen, die das ganze Gelände in den Blick nimmt. Und schon diese zwei Einstellungen vermitteln Fúsis Einsamkeit – hier ist einer, der auf Distanz zu Menschen und Dingen geht. Das sieht man auch den Blicken durch Türstöcke oder den Bildern von Fúsis nachgestellen Schlachten an. Und auch die Farben illustrieren ein eher tristes Leben: Lange gibt es nur Braun- und Grautöne, bis mit Sjöfn etwas Farbe in Fúsis Leben kommt. Die beiden werden irgendwann Sjöfns vollgerümpelte Wohnung weiß streichen. Das muss kein Liebes-Happy-End bedeuten, ist aber ein Lichtblick für beide.

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