Kritik zu Urban Explorer

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Transformation: Aus den »Backwoods« der amerikanischen Horrorfilme wird bei Andy Fetscher (Bukarest Fleisch) der geschichtsträchtige Berliner Untergrund mit seinen bizarren Relikten

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Kontrollierter Nervenkitzel: eine Expedition in den Untergrund der Stadt Berlin als Abenteuertrip für erlebnishungrige junge Leute aus aller Welt. 200 Euro pro Person kassiert der Reiseführer (Max Riemelt) durch das Labyrinth der unterirdischen Tunnel vorab, dann geht es los, der versteckte Ausgang in einer Diskothek führt sie direkt hinein in die Unterwelt. Das Ganze ist natürlich illegal, deshalb will man die richtigen Namen der Anderen gar nicht wissen. Eine Französin, eine Japanerin, ein US-Boy und seine Freundin aus Lateinamerika sind die Teilnehmer.

Eine frühe Begegnung mit zwei kurzgeschorenen Typen samt Kampfhund vermittelt gleich ein Gefühl davon, dass hier durchaus reale Gefahren lauern; danach kann man sich erst einmal uneingeschränkt der Faszination dieses Ortes widmen, an dem es Reste von einst benutzten Räumen zu bestaunen gibt. Und als Höhepunkt für die Ausländer dann der »Fahrerbunker« (wie der Schutzkeller von Hitlers Chauffeur sinnigerweise genannt wird) mitsamt den »Höhlenzeichnungen«, die aus dem Dritten Reich stammen sollen. Deutsche Vergangenheit als Gruselkabinett.

Deutsche Vergangenheit ist aber nicht nur das Dritte Reich, sondern die ebenfalls untergegangene DDR. Die ist hier ungleich lebendiger – in Gestalt eines Menschen, der noch Zeitzeugenschaft ablegen kann: Armin (Klaus Stiglmeier), ein vollbärtiger Mann, der in der Einsamkeit seinen Wachdienst versieht und sich als rettender Engel erweist, als der Trupp nach einem Unfall dringend auf Hilfe angewiesen ist. Armin hat ein Telefon. Und selbst die zähflüssige braune Suppe, die er ihnen serviert, ist eine willkommene Stärkung.

Aber natürlich kommt alles ganz anders, Armin erweist sich nicht nur als spinnerter Ossi, der der DDR nachtrauert und als einstiges Mitglied der bewaffneten Streitkräfte durchaus etwas zu verbergen hat, er hat auch noch andere Vorlieben. Wer einen der zahlreichen amerikanischen Backwoods-Filme gesehen hat, kann sich zusammenreimen, was folgt. Das letzte Drittel des Films ist entsprechend deftig, das Blut spritzt kräftig. Die Charakterisierung der Figuren ist dem untergeordnet, erfüllt aber zumindest elementare Ansprüche. Dass Max Riemelt im Vorspann erst an dritter Stelle genannt wird, eingerahmt von je zwei unbekannten ausländischen Namen, lässt den genreaffinen Zuschauer sogleich rätseln, ob er wohl als Erster ins Gras beißen muss.

Urban Explorer ist das gelungene Beispiel eines deutschen Horrorfilms, der sich bekannter Muster bedient, aber seine Eigenständigkeit entfaltet, wenn er deutsche Geschichte (durchaus exploitationmäßig) miteinbezieht. Damit ist er in diesem Monat eine willkommene Alternative zum ungleich aufwendigeren, aber blutarmen Fright Night. Am Mythos strickte übrigens auch der Regisseur nach der Premiere auf dem Fantasy Filmfest: »Wegen uns sind öfter mal Züge stehen geblieben – aber nicht während der Rush Hour«, erklärte er in Berlin.

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