Kritik zu Umsonst

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Ihr könnt doch nicht alle nach Berlin ziehen, hier die Mieten erhöhen und dann kein Bier verteilen.« Stephan Geenes zweiter Spielfilm fällt von der Theorie in die Wirklichkeit

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Auf den ersten Blick ist Stephan Geenes Umsonst vor allem ein verdammt toller Berlin-Film. Vielleicht sogar der beste Berlin-Film seit dem Frühwerk von Angela Schanelec, zu der es auch inhaltlich einen Bezug gibt: Gegen Ende, als der Film eine Art Bilanz zieht und seine Hauptfigur Aziza in der Abenddämmerung durch den Görlitzer Park streift, erklingt das Stück »Die Erde wird der schönste Platz im All« der Berliner Band Mutter, das schon in Schanelecs Mein langsames Leben an exponierter Stelle zu hören war. Diese Wahl ist für Geenes Film so programmatisch wie folgerichtig, denn die Band gehört dem erweiterten Kreis von Künstlern, Theoretikern und Aktivisten an, die sich in den 90er Jahren um Geenes Kollektiv B_Books formierten.

Diese Gemengelage spielt auch in Umsonst, der auf solche biografischen Kontinuitäten setzt, die daraus resultierenden Beobachtungen aber mit dem feinen Garn kritischer Theorie verwebt, eine wichtige Rolle. So wird aus seinem in einer sehr spezifischen Lebenswirklichkeit verhafteten Film (Kreuzberg im Jahr 2013) eine umwerfend schön gespielte Bestandsaufnahme über Milieuverschiebungen in deutschen Großstädten, neoliberalen Leistungsdruck (beziehungsweise das Nicht-Funktionieren-Wollen in der Welt) und die Schwierigkeiten der Lebensorganisation in einer Gesellschaft, denen die gesellschaftlichen Verbindlichkeiten abhanden gekommen sind.

Letzteres gilt insbesondere für Azizas alleinerziehende Mutter, die ihre Tochter zu jung bekommen hat und nun auf Kompensation für die »verlorenen« Jahre pocht. Aziza steht eines Morgens wieder vor der Wohnungstür, das Praktikum beim Vater in Portugal hat sie abgebrochen. Einfach so, keine Lust mehr. Ihr Zimmer hat die Mutter zwischenzeitlich an einen mittellosen Musiker aus Neuseeland untervermietet. Doch die weitaus größeren Sorgen bereitet ihr, dass sie sich in dem selbst geschaffenen Rollenbild zwischen Mutter und älterer Schwester für ihre Tochter zusehends aufreibt. Die spätpubertierende Aziza, selbst etwas orientierungslos, tritt daraufhin den Rückzug an, auf die Straße, in den Kiez. Der Film wiederum nimmt diese Ziellosigkeit in einer schlüssigen Bewegung auf und vermittelt damit ein unglaublich lebensnahes Gefühl für die Lokalität seiner Geschichte.

So fällt Umsonst auf geradezu unheimlich plausible Weise (und trotz einer etwas unnötigen Film-im-Film-Konstruktion) heraus aus der Theorie in die Welt, für die der befreundete Kameramann und Filmemacher Volker Sattel (Unter Kontrolle) buchstäblich Bilder findet. Geenes Methode ist, auch wenn das nach seifigem Pathos klingt, die Wirklichkeit. Ceci Chuh, die Aziza spielt, ist ausgebildete Schauspielerin, ihre Freundinnen im Film stammen dagegen aus dem eigenen Freundeskreis – und demselben Viertel. »Ihr könnt doch nicht alle nach Berlin ziehen, hier die Mieten erhöhen und dann kein Bier verteilen«, ist das expliziteste politische Statement, zu dem Geene sich hinreißen lässt. Es ist eine treffend pointierte Beschwerde aus jugendlicher Weltsicht. Dass dann tatsächlich irgendwann ein Auto brennt, hat da fast schon eine poetische Beiläufigkeit.

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