Kritik zu Rückkehr nach Montauk

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Volker Schlöndorff nimmt sich eine Idee von Max Frisch, passt sie an die Gegenwart an und destilliert daraus einen melancholischen, sich ohne Überheblichkeit altersweise gebenden Film über das ewige Missverständnis der Liebe

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Im strengen Sinne ist »Rückkehr nach Montauk« keine Literaturverfilmung – es gibt keine Romanvorlage. Und doch ist der Film durch und durch literarisch angelegt. Volker Schlöndorff ließ sich inspirieren von Max Frischs autobiografischer und seinerzeit deshalb auch umstrittener Erzählung »Montauk« und schrieb zusammen mit dem irischen Autor Colm Tóibín ein Drehbuch, das neben dem Handlungsort aus Frischs Vorlage dessen Themen um gescheiterte Lieben, Reue und Alter übernimmt. Hauptperson ist ein Mann namens Max Zorn (Stellan Skarsgård), wie Frisch ein Schriftsteller. Die erste Szene zeigt ihn bei einer Lesung und als Teil der Szene sieht man ihn das Motto seiner Erzählung direkt in die Kamera sprechen. Es geht um die zwei Weisen der Reue, die das Leben prägen: die eine für etwas, das man getan hat, die andere für das, was man nicht getan hat. Natürlich, schließlich redet hier ein Mann in den sogenannten besten Jahren, sind letztlich in beiderlei Hinsicht Verhältnisse zu Frauen gemeint. Der gängige Reflex des Zuschauers besteht im Abwinken: Gibt es etwas Uninteressanteres im Kino und in der Literatur als die eitlen Reflexionen älterer Herren über ihre Verflossenen? Aber man braucht nur ein kleines Quäntchen an Geduld und Nachsicht, um zu bemerken, dass Volker Schlöndorff mit »Rückkehr nach Montauk« eine überraschend einsichtsvolle und berührende Variante dieses oberflächlich so abgenutzten Themas gelingt.

Von den ersten Bildern an sind es denn auch zwei schwer in cineastische Begriffe zu fassende Haltungen, die in »Rückkehr nach Montauk« die Aufmerksamkeit fesseln: Ernsthaftigkeit und Uneitelkeit. Für das Uneitle sorgt der großartige Stellan Skarsgård, der wie kaum ein anderer Schauspieler auf der Leinwand einen Mann verkörpern kann, der weiß, dass er rein äußerlich nicht viel hermacht. Es ist diese selbstbewusste, aber eben nicht demonstrative Durchschnittlichkeit, die seine Figur des Schriftstellers Max Zorn erträglich, wenn auch nicht unbedingt sehr sympathisch macht. Man lernt Max als verwöhnten Menschen kennen: Da ist der vom Verlag gesponserte Aufenthalt in New York. Und da sind gleich zwei Frauen, die ihm beim Zurechtfinden in einer wie ganz auf ihn konzentrierten und für ihn eingerichteten Welt auch noch helfen: die PR-Frau Lindsey (Isi Laborde-Edozien) und seine Ehefrau Clara (Susanne Wolff).

Es ist die Interaktion mit diesen beiden, der unbeschwerten, nie unterwürfigen Lindsey, und der selbstbewussten und mit Bestimmtheit auftretenden Clara, durch die man als Zuschauer Max zunächst besser kennenlernt. Er erscheint fahrig, mit sich selbst beschäftigt und geradezu schwach im Vergleich zur Lebenstüchtigkeit seiner Begleiterinnen, die ihrer Servicefunktion zum Trotz ihm von Zeit zu Zeit mit fast spöttischer Herablassung begegnen. Aber dann – und das ist ein Verdienst des wirklich fein geschriebenen Drehbuchs – dreht sich der Eindruck fast in sein Gegenteil: Dass er die Gesellschaft dieser starken Frauen sucht, strahlt irgendwie doch auch positiv auf den Schriftsteller zurück.

Die Zufallsbegegnung mit einem alten Bekannten – vom französischen Schauspieler Niels Arestrup (»Ein Prophet«) mit bewährter Schmierigkeit verkörpert – setzt Max auf die Spur einer Frau, mit der er Jahrzehnte zuvor in New York einmal zusammen war. Zuerst sperrt sich diese Rebecca Epstein (Nina Hoss) gegen seine Versuche der Kontaktaufnahme, dann kommt es aber doch noch zu der im Titel versprochenen »Rückkehr nach Montauk«.

Egal, wie man es hinschreibt, es klingt nach einem Stoff, der schon zum Überdruss ausgebreitet und beschrieben scheint: die Reue darüber, jemanden verlassen zu haben, den man liebt, der lange Nachhall gerade der Liebesaffären, in denen man sich nicht gut verhalten oder gar schuldig gemacht hat. Doch Schlöndorff, und hierbei spielt seine große Ernsthaftigkeit ihre entscheidende Rolle, arbeitet mit meisterlicher inszenatorischer Sorgfalt und einer in ihrer Eisigkeit erneut beeindruckenden Nina Hoss nicht nur die Reue als solche, sondern das Zweischneidige genau dieser Reflexionen heraus. Statt wie sonst in solchen Geschichten mit dem Gedenken an vergangene Lieben zugleich mehr oder weniger deutlich zugleich die eigene Potenz und Großartigkeit zu feiern, sieht sich Skarsgårds Max Zorn mit der eigenen Blindheit konfrontiert. Statt nostalgischem Schwelgen kommt es zu einer schmerzlichen und überraschend erbarmungslosen Abrechnung.

Der Ausflug nach Montauk mit seinen stimmungsvollen Aufnahmen vom windumtosten Strand und ausgeblichener Holzhüttengemütlichkeit scheint zwar das Terrain fürs mögliche Wiederaufflammen der Gefühle zwischen Max und Rebecca zu bereiten. Aber dann zeigt sich, dass es ganz andere Gefühle sind, die bei Rebecca aufbrechen. Und die gelten, zu Maxens großem Erstaunen und vielleicht auch Schrecken, größtenteils gar nicht ihm, sondern einem anderen Mann. Was als sanfte Erinnerungskorrektur daherkommt, bildet den vielleicht ultimativen Angriff auf Max' männliches Selbstverständnis: Seine Bereitschaft zur Reue läuft ins Leere, nicht weil ihm nicht verziehen wird, sondern weil er im Leben Rebeccas gar nicht so wichtig war.

»Rückkehr nach Montauk« ist Max' Geschichte, aber zu seinem bestechend ambivalenten Gleichgewicht findet der Film, weil Schlöndorff auch den »Objekten« der Liebe, den Frauen, endlich einmal den gebührenden Raum einräumt. Sowohl Rebecca als auch die vernachlässigte Ehefrau Clara bekommen Gelegenheit, ihre Sichtweise und ihre Geschichte zu erzählen. Und so stellt sich heraus, dass es neben den zu Anfang genannten Arten der Reue vielleicht noch eine dritte gibt: die, die Perspektive der anderen nie richtig wahrgenommen zu haben.

Meinung zum Thema

Kommentare

Volker Schlöndorff hat das uralte Thema, das hier von Max Frisch vorgelegt wurde, über die verpassten Gelegenheiten des Lebens wieder aufgegriffen.
Erfolgsautor Max (Stellan Skarsgard) reist zur Lesung seines jüngsten Romans ‘Jäger und Gejagte‘ nach New York. Hier erwartet ihn seine Lebensgefährtin Clara (Susanne Wolf), die hier lebt. Max trifft aber auch seine Jugendliebe Rebecca (Nina Hoss) inzwischen eine renommierte Anwältin und verbringt eine Nacht mit ihr in ihrem alten Domizil, was er Clara verheimlicht.
Ein philosophischer Aphorismus steht am Anfang des Films, wenn Max sagt ‘Ich bereue, was ich getan habe und ich bereue auch, was ich nicht getan habe.‘
Alles in seinem Leben vor allem seine literarischen Tätigkeiten haben sich eigentlich im Grunde immer nur um Rebecca gedreht. Sie war seine Muse. Das erkennt er jetzt.
Nina Hoss spielt diese Rebecca großartig: reserviert, abweisend, doch nicht ganz verschlossen. Die Liebesnacht erreicht die Intensität von der in ‘Jenseits von Afrika‘. Max wittert eine zweite Chance, Rebecca lehnt ab und hält ihm vor ein Träumer zu sein. Aber auch sie ist nicht ganz frei: vor Jahren hatte sie die große Liebe ihres Lebens getroffen. Der Kollege verstarb leider. ‘Ich war in ihm. Ich starb, als er starb!‘ bekennt sie. Man trennt sich und alle drei trauern den verpassten Gelegenheiten nach. So etwas wie eine zweite Chance gibt es nicht. Als Max Clara seinen Seitensprung gesteht, Rebecca aber als ‘Geist‘ bezeichnet, kontert die Stammfrau ‘Macht ja nix. Geister kann man ja nicht ficken.‘
Die grandiosen Darsteller überbrücken die langen Dialoge und fordern vom Zuschauer
eine intensive Konzentration, was dann ein beklemmendes Eintauchen in eine Vergangenheit sein kann, die die eigene ist. Literatur aus dem Leben, Leben in der Literatur.

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