Kritik zu Red Army

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Der US-amerikanische Filmemacher Gabe Polsky porträtiert das legendäre sowje­tische Eishockeyteam und damit einen Sport, der lange Zeit den Kalten Krieg auf dem Eis nachbildete

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Hierzulande ist Eishockey ja nicht so populär wie Fußball. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass diese Mannschaftssportart für Fernsehübertragungen denkbar ungeeignet ist. Der winzig kleine Puck wird so schnell hin und her geschossen, dass man ihn auf dem Bildschirm nur erahnen kann. Aus diesem Grund schaltet Gabe Polsky erst einmal einen Gang runter. Sein Dokumentarfilm ist eine Art gefühlte Zeitlupe, die den Zuschauer in die ganz eigene Ästhetik dieses Sports einführt. Vor allem die Art und Weise, wie Slava Fetisov, einer der besten Spieler aller Zeiten, diese Geschichte vor der Kamera erzählt, ist sensationell. Der wie ein Russenmafioso wirkende Ausnahmesportler hat das Eis, auf dem er einst wirbelte, verinnerlicht: Das Interview mit dem Dokumentarfilmer führt er cool. Während er launisch Fragen beantwortet, muss er permanent telefonieren und simsen. Was er nebenbei fallen lässt, hat es in sich.

Eishockey ist der russische Nationalsport schlechthin. Fetisov erzählt, wie seine Eltern ihm als Kind die sündhaft teuren Schläger und Schlittschuhe besorgten, er aber erst im zweiten Anlauf die Talentprobe beim Renommierclub ZSKA Moskau bestand. Die Geschichte seines rasanten Aufstiegs spiegelt der Film effektvoll mit der Rolle dieses Sports für das sozialistische System. Die unglaubliche Effektivität des sowjetischen Teams, das von den 50er Jahren bis 1991 nahezu unschlagbar war, wurde während des Kalten Krieges als propagandistischer Ausdruck der Überlegenheit der Sowjetmacht ausgeschlachtet. Der Kollektivgedanke sei dem Individualismus US-amerikanischer Prägung überlegen: Fetisov, der das Team der Sowjetunion zum Gewinn von zwei olympischen Goldmedaillen führte, macht jedoch die traurige Kehrseite dieses Erfolgs deutlich. Ohne mit dem System nachträglich abzurechnen, lässt er durchblicken, dass er »gelebt hat wie ein Hund«. Maßgeblich für die Unterdrückung der Schlittschuhartisten ist der – am 24. November 2014 gestorbene – Erfolgstrainer Viktor Tikhonov, der die »Sbornaja« wie ein Diktator führte.

Eishockey wurde mit militärischer Effizienz gedrillt, aber nicht nur. Das umfangreiche Archivmaterial gibt aufschlussreiche Einblicke in die Vielschichtigkeit dieses Sports: Wenn Braunbären auf Kufen dem Puck nachjagen und die Eishockeyspieler zur Verbesserung der Körperbeherrschung feminine Ballettschritte imitieren, dann wird klar, aus welch unterschiedlichen Komponenten diese Sportart zusammengesetzt ist. Wie im Sportfilm entwickelt sich die Dramaturgie von einem legendären Match zum nächsten. Werden dabei Spielzüge analysiert, um die Eleganz des sowjetischen Teams zu erläutern, dann sieht man das mit ganz anderen Augen. Aus der Per­spektive der Mannschaft schildert der Film schließlich das Aufkommen der Perestroika und den Niedergang der Sowjetunion. Als erster sowjetischer Eishockeystar wechselte Fetisov nach zahlreichen Demütigungen in die kapitalistische US-Liga: zum Feind. Seine Traumgage wurde aber, zunächst, an die Rote Armee überwiesen, denn offiziell war Fetisov Soldat im Auslandseinsatz. Ein vielschichtiger Dokumentarfilm, nicht nur für Sportbegeisterte.

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