Kritik zu Pearl Harbor

Trailer englisch © Verleih

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Große Produktionen vom Schlage "Das Kinoereignis des Jahres" tragen eine Art Erkennungsbilder wie Boten vor sich her. Eine bestimmte Szene des Films wird so oft in der Fernseh- und Kinowerbung ausgewalzt, bis sie in unseren Köpfen nahezu eins mit dem Filmtitel geworden ist. Titanic? Leonardo DiCaprio hält Kate Winslet am Bug wie eine Galionsfigur in den Wind. Bei Pearl Harbor sieht das so aus: Ein japanisches Kampfflugzeug klinkt hoch über einem Schiff in Pearl Harbor eine Bombe aus, die Kamera saust direkt hinter ihr im Sturzflug auf den US-Kreuzer zu, immer näher, bis ein Umschnitt den Einschlag der Bombe in das Schiffsdeck zeigt.

Diese Szene wird in fast allen Kritiken erwähnt und hat ihr Ziel somit schon erreicht. Aber sie hat noch andere Funktionen. Als Erkennungszeichen des Kinoereignisses will sie zugleich die Nähe zum Ereignis "Krieg" herstellen, mittendrin statt nur dabei, und außerdem den großen technischen Aufwand andeuten, auf den wir uns hier beim "aufwändigsten Film aller Zeiten" verlassen dürfen. Gleichzeitig aber kann man diese Bilder auch als ein Symbol des Verhältnisses verstehen, das Pearl Harbor zur Geschichte herstellt. Doch bis es zu dieser Szene kommt, will erst einmal über eine Stunde Melodrama-Exploitation mit Uniform und Schwesternhäubchen überstanden werden. Durchhalten - der Krieg kommt bald.

Die tollsten Freunde auf der Welt heißen Rafe (Ben Affleck) und Danny (Josh Hartnett). Seit der Kindheit unzertrennlich sind sie nun, 1941, Piloten der US-Army. Nicht irgendwelche Piloten natürlich, sondern die verdammt wagemutigsten und verrücktesten Himmelhunde, die je die Lüfte unsicher gemacht haben. Außerdem die schönsten Soldaten ihrer Zeit, und darum bekommt Rafe dann auch die lieblichste aller Krankenschwester-Prinzessinen, Evelyn (Kate Beckinsale). Die allerdings wird traurig, als Rafe freiwillig und überraschend die englische Luftwaffe im Kampf gegen die Deutschen unterstützt, "Ich gehe in den Krieg - Morgen", und schließlich bei einem Einsatz abgeschossen wird.

Danny und Evelyn, inzwischen nach Pearl Harbor auf Hawaii versetzt, helfen sich gegenseitig über den Verlust hinweg; das heißt, sie verlieben sich ineinander. Als der totgeglaubte Rafe überraschend wieder auftaucht, weil ihn die Sehnsucht nach Evelyn am Leben gehalten hat, scheinen Liebe und Freundschaft unwiederbringlich dahin. Dann aber bombardieren die Japaner Pearl Harbor, und der Krieg schweißt alle wieder zusammen.

Dieser Angriff ist natürlich keine Überraschung. Lange genug haben wir den japanischen Militärs bei ihren Vorbereitungen zusehen dürfen. "Das Schicksal unseres Kaiserreichs steht auf dem Spiel", haben wir gehört und den Anflug der Piloten über friedliche Baseballfelder und Wäscheleinen ausgiebig beobachten dürfen. Und wie sollte das auch überraschen? Die Attacke, der Beginn des Krieges, wird dringend benötigt, weil er allen Figuren und dem Film hilft, zum Wesentlichen und zu "sich selbst" zu kommen. Piloten wie Rafe und Danny und Krankenschwestern wie Evelyn können endlich ihre Pflicht tun.

Überraschend ist so vielleicht eher, wie offensichtlich und exaltiert Pearl Harbor den Krieg als Identitätsstiftung zelebriert. Darin übertrifft er sogar Men of Honor und Tigerland. Neben den Protagonisten ist es Amerika selbst, das in Gestalt seines Präsidenten Roosevelt (Jon Voight) zu sich als Krieger zurückkommt. Jede Bombe und jedes Opfer bringt ein Stück Identität zurück, bis Roosevelt wie zum Beweis dessen aus seinem Rollstuhl aufersteht, um mit der ehemals verlorenen Kraft seiner Beine Entschlossenheit und Standhaftigkeit zu bezeugen.

Das Bombardement, inszeniert wie eine Mischung aus Saving Private Ryan, Titanic und Independence Day, ist darum von Anfang an weniger die allenthalben bekundete Katastrophe, sondern ein notwendiger Identitätsweckruf, den selbst die Japaner als solchen verstanden haben. "Alles was wir erreicht haben", befürchtet Admiral Yamamoto, "ist nur, einen schlafenden Riesen zu wecken." Weil Pearl Harbor dieser Logik viel stärker folgt als etwa Tora! Tora! Tora! von 1969, der mit diesem Satz Yamamotos endet, folgt dem Überfall auf Pearl Harbor hier noch ein Rachefeldzug der Amerikaner gegen Tokio. Bei der Gelegenheit erfüllt sich endgültig das Heldenschicksal von Rafe und Danny.

In den Reaktionen auf das dreistündige Opus sind sich Kritiker in den USA und hier zu Lande rasch einig geworden. Pearl Harbor, vom "Werbefilmer Michael Bay" inszeniert und produziert vom "Tycoon des Massengeschmacks Jerry Bruckheimer", wurde dabei vor allem der "albernen Liebesgeschichte" und der "dubiosen Geschichtsdarstellung" wegen angegriffen. Dass die harsche Kritik kaum etwas am finanziellen Erfolg von Pearl Harbor ändern konnte (75,1 Millionen Dollar in den USA nach vier Tagen, auch in Deutschland sofort auf Platz 1), lässt nicht nur nach den Möglichkeiten von Kritik überhaupt fragen, sondern auch nach dem kulturellen Klima, von dem ein solcher Film profitiert. Und genau hier wird das Verhältnis zur Geschichte wichtig.

Verkürzt gesagt, scheint das seltsame Interesse an Geschichtlichem vor allem im zeitgenössischen US-Kino (Saving Private Ryan, The Thin Red Line, Titanic, The Patriot, Enemy at the Gates, Thirteen Days, Men of Honor) eine Folge des "Fin de siècle"-Bedürfnisses zu sein, sich des vergangenen Jahrhunderts abschließend zu vergewissern. Und die zunehmende Unübersichtlichkeit des aktuellen Weltgeschehens befeuert diesen Wunsch. Geschichte soll spür- und greifbar sein, und gerade darum eignet sich Krieg hervorragend zur Befriedigung dieses Bedürfnisses. Als vermeintlicher Kulminationspunkt und als Reduktion aller Interessen und Verwicklungen auf den sichtbaren Akt des Kampfes kann Geschichte hier genau zu dem "klaren" Ereignis werden, das es sein soll. Erst als Ereignis bekommt Geschichte ein Bild.

Insofern ist das besagte Erkennungsbild von Pearl Harbor wie ein Spiegel dieser Bewegung: So wie die fliegende Bombe mit uns als Anhang den Krieg spektakulär "von innen" zeigt, ihn als Bild mit dem Aufprall auf den US-Kreuzer wortwörtlich auf den Punkt bringt (So sieht das aus!), so soll der Krieg selbst die Geschichte auf den Punkt bringen. Wie das perspektivische Herabstürzen uns das "unmögliche" Gefühl einer abgeworfenen Bombe vermittelt, soll mit dem Krieg Geschichte fühlbar werden. Wo es also um den sprichwörtlichen "Hauch von Geschichte" geht, kann dann auch kaum enttäuschen oder abschrecken, wenn historische Details nicht stimmen. Das ist im derzeitigen Marktsegment "Geschichte" sowieso nicht vorgesehen - die ehemals spöttisch gemeinte Beschreibung "Titanic mit Bomben" ist längst willkommener Teil der Werbestrategie von Pearl Harbor geworden.

Vielleicht ließe sich so auch die ungeheure Fülle der blödesten Stereotypen erklären, die hier alles zwischen Liebe, Freundschaft und Krieg zusammen pappen. Da Krieg und Geschichte rein gar nichts Verstörendes, sondern Klärendes haben sollen, bewegt sich alles und jeder in Pearl Harbor im Rahmen einer allgemeinen Verständlichkeit. Auf diese Weise bleibt außerdem das Hintertürchen der Ironie gewahrt. Wenn also dieser offensichtliche Quatsch überhaupt beim Publikum funktionieren kann, dann weil die übertriebene Stilisierung eben Teil dieses unausgesprochenen Unterhaltungsvertrages in Sachen "Geschichte" ist.

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