Kritik zu No!

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Das Ende des Pinochet-Regimes als schwarzbunte Komödie: Aus der Perspektive eines Marketingfachmanns erzählt Pablo Larraín vom Referendum des 5. Oktobers 1988, das zur Abwahl des Generals führte

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In alten Lehrbüchern über das Drehbuchschreiben werden Leser bisweilen in eine List eingeweiht, dank der schleppende Dialogszenen unvermutete Dynamik gewinnen können. Sie ist so einfach wie wirkungsvoll: Man lässt die Szene an verschiedenen Schauplätzen spielen. Pedro Peirano wendet diese Technik in seinem Drehbuch zu No! häufig an. Zum ersten Mal bricht er die Kontinuität eines Gespräches durch Ortswechsel auf, als der selbstgewisse Werbefachmann René Saavedra (Gael García Bernal) von einem Freund der Familie gebeten wird, die Marketingkampagne der Opposition gegen die Wiederwahl Pinochets zu leiten.

Der Effekt ist freilich ein ganz anderer, als ihn die Lehrbücher verheißen. Der Zuschauer hat nicht den Eindruck, die Szene würde dadurch schneller erzählt. Peirano dehnt vielmehr die Zeit. Fast scheint es, als würde das Gespräch sich über einige Tage erstrecken. Die Szene handelt auf mehreren Ebenen von Widerstand. René sträubt sich, den Auftrag anzunehmen. Seine Mitwirkung würde ein Risiko  für seine Karriere und auch seine Familie bedeuten; auch sieht er sich als unpolitischen Menschen. Aber Urrutia (Luis Gnecco), der Stratege der Opposition, bleibt hartnäckig. Er beschwört das moralische Vermächtnis von Renés Vater, der ins Exil gehen musste. Als Szenarist von »La Nana – Die Perle« hat Peirano vor Augen geführt, wie schwer es Menschen fällt, aus ehernen gesellschaftlichen Konventionen auszubrechen. Entscheidungen, zumal politische, mögen an einem Tag fallen. Aber getroffen werden sie in einem Prozess der Bewusstwerdung und Annäherung.

Urrutia und René bleibt kaum genug Zeit dazu. Das Referendum für oder wider eine Fortsetzung des Pinochet-Regimes steht am 5. Oktober 1988 an. No! erzählt von einer Wette gegen die Aussichtslosigkeit; kein Wunder, dass er in Hollywood so viel Furore macht. Die Sache der Opposition scheint von Anfang an verloren. Sie hat täglich nur 15 Fernsehminuten zu schlechter Sendezeit, um das Publikum auf ein »Nein« einzuschwören, die Gegenseite hat in den staatlich kontrollierten Medien praktisch den ganzen Tag zur Verfügung. Überdies vertritt die Opposition eine Pluralität der ethischen und politischen Standpunkte. Entscheidungen werden mühselig demokratisch getroffen. René scheint zudem der »Falscheste«, den sie für die Kampagne gewinnen könnten. Zu sehr beherrscht er den anmaßenden Tonfall der Werbebranche, die schon einen Softdrink als gesellschaftliche Revolution anpreist.

Von seinen ersten Entwürfen sind die Auftraggeber schockiert. Ihnen erscheint es absurd, die Kampagne gegen eine Militärdiktatur auf die Idee der allegria, der Freude, aufzubauen. Dem Zuschauer ergeht es ebenso. Sind René und sein Team nicht in einer professionellen Deformation gefangen, der Gewohnheit, jedes Produkt in den buntesten Farben zu verkaufen? Aber in Chile, wo die Alltagsrealität grau und die Propaganda patriarchalisch ist, verfängt die Verheißung einer Zukunft voller Fröhlichkeit. Die Werbespots muten frivol an, sie können aber auch ungemein bewegend sein – etwa wenn ein ergrauter Nachrichtensprecher wieder vor der Kamera den Platz einnehmen darf, von dem ihn das Regime vor 15 Jahren vertrieben hat. Allmählich begreift man sogar, weshalb man Werbeleute Kreative nennt. Bald ist die Arbeit für René mehr als professionelle Herausforderung. Seine Wandlung ist auch persönlicher Betroffenheit geschuldet: Seine Exfrau engagiert sich im Widerstand und ist Repressalien ausgesetzt, er muss um das Wohl seines Sohnes bangen. No! bettet diese wohlbegründete Paranoia in das Bild eines gesellschaftlichen Klimas ein. Die Spaltung des chilenischen Volkes zieht sich mitten durch die Agentur. Sein Chef arbeitet für die Kampagne des Regimes, seine Drohungen werden unverhohlener. Aber René ahnt, dass er sich jetzt in der heroischen Epoche seines Lebens befindet. Er lernt, dass Bilder auch eine moralische Macht besitzen.

Die Gabe der Verführung besitzt auch Pablo Larraín, der den Film auf dem längst ausgemusterten U-Matic-Videoformat gedreht hat, um keinen Unterschied sichtbar werden zu lassen zwischen den Spielfilmszenen und dem historischen Material der Spots: Die unscharfen Konturen leuchten in den Regenbogenfarben der Opposition.

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