Kritik zu New York Memories

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Rosa von Praunheims Rückkehr nach New York, wo er immer wieder gelebt, geliebt und gearbeitet hat. Persönliche Erinnerungen, untrennbar verbunden mit Stadt- und Weltgeschichte

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Als befände er sich auf der Suche nach der verlorenen Zeit, so flaniert Rosa von Praunheim durch die Straßen von New York. Seine Kleidung ist wie immer ein wenig schrill, aber in seinem Blick liegt Skepsis, in seinen Gesichtszügen macht sich Wehmut bemerkbar. Der heutige Big Apple, vor allem das cleane, überteuerte Manhattan, hat nur noch wenig zu tun mit seiner ganz eigenen Traumstadt New York, in die er seit 40 Jahren immer wieder gereist ist. Verschwunden oder an den Rand gedrängt ist der ganze Underground aus Kunst, Burleske, Sex, den Praunheim so liebte. Verschwunden sind zwar auch Drogen wie Crack, die Kriminalität ist eingedämmt, die Stadt scheint ihre Gefährlichkeit verloren zu haben. Aber mit allen Verbesserungen ist auch der Humus für neue Ideen, für subversive Gedanken fast ausgetrocknet. Praunheim flaniert nicht nur durch die Straßen, er wandelt auch durch die Zeiten, bei deren Veränderung wohl immer mit Verlust zu rechnen ist. Blitzlichtartig sind Aufnahmen aus alten, in N.Y. entstandenen Praunheim-Filmen in das neue Werk einmontiert. Eine Collage aus gestern und heute entsteht so, mit einem Blick auf morgen.

Die Praunheim´sche Reminiszenz beginnt mit Revolte und Aufbruch, mit utopischen Vorstellungen. Bei den Stonewall-Unruhen in den späten 60ern nahm von New York aus die Schwulenbewegung ihren Ausgang, die Praunheim in Armee der Liebenden leidenschaftlich porträtiert hat. Am Ende der Reminiszenz steht wieder Hoffnung und Aufbruch mit der Wahl Obamas zum Präsidenten, aber die Hoffnung des erfahrenen Praunheims wirkt leise. Zwischen den Aufbrüchen: die Freiheit und die Exzesse der 70er, die Aids-Epidemie in den 80ern, Giulianis Neuordnung in den 90ern, der Schock von 9/11, die Wirtschaftskrise schließlich. N.Y. erscheint als Ort des schnellen Wandels. Wie in einem alten Western ist sie einmal Boomtown und im nächsten Moment Geisterstadt. Das Leben dort ist nach Praunheim immer ein Überleben, manchmal ein bitteres Survival, manchmal ein kreatives Fortschreiten.

Schon 1989 hat Praunheim in N.Y. einen Film gedreht unter dem Titel Überleben in New York. Jetzt trifft er zwei der darin porträtierten deutschen Girls wieder, die es in N.Y. »schaffen« wollten. Aus den Mädchen von damals sind gestandene Frauen geworden: die Hetero-Frau Anna und die Lesbe Claudia sind in N.Y. geblieben, sie sind zu Einheimischen geworden, Immigranten des New Yorker Traums. Die Träumerei von damals hat sich mit einem starken Pragmatismus verknüpft.

Und dieser wilde Pragmatismus kann sogar so weit gehen, dass die coole Anna plant, mit ihrem amerikanischen Lebenspartner einmal von Harlem nach Görlitz zu ziehen – aus Gründen der Altersabsicherung. Sie hat sich bereits eine Immobilie in Görlitz gekauft, bei einer Zwangsversteigerung. Manchmal ist N.Y. überall, abschreckend und inspirierend zugleich.

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