Kritik zu Ma Ma – Der Ursprung der Liebe

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Ein Film über Krebs, also über Krankheit, Verlust und Tod. Ein Film jedoch auch über das Leben, die Liebe und die Hoffnung. Ein zirkuläres Melo über eine wunderbare Frau und die schönen Männer, die sie umkreisen, poetisches, verblüffendes Kino von Julio Medem mit Penélope Cruz

Bewertung: 5
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2 (Stimmen: 1)

In den letzten Jahren war es ein wenig still geworden um Julio Medem, den baskischen Regisseur, der mit Filmen wie »Das rote Eichhörnchen« oder »Lucia und der Sex« die Formsprache und die Erzählkunst im Kino vorangetrieben und dabei eine Art Chaostheorie des Schicksals entworfen hat. Medems letzte große Kinoarbeit, der erotische Film »Eine Nacht in Rom«, ist bereits 2010 entstanden. In den letzten Jahren ist er vor allem literarisch tätig gewesen, sein historischer Roman »Aspasia, Amante de Atenas« ist 2012 in Spanien erschienen. Jetzt feiert er sein furioses Kino-Comeback mit einem großen Melo, in dem Penélope Cruz, Spaniens internationaler Star, die Hauptrolle spielt. »Ma Ma – Der Ursprung der Liebe« ist die erste Zusammenarbeit von Julio Medem und Penélope Cruz, die eher als Pedro-Almodóvar-Aktrice bekannt ist. In einem geradezu ironischen Austausch, der dem Formalisten Medem eigentlich gefallen müsste, hat Almodóvar ausgerechnet der ehemaligen Medem-Favoritin Emma Suárez die Hauptrolle in seinem neuen Film »Julieta« (der im August bei uns in die Kinos kommt) gegeben.

Ein leichter Hauch von Almodóvars Frauenfilmen ist also zu spüren zu Beginn von »Ma Ma – Der Ursprung der Liebe«, der jedoch schnell vom speziellen, zwischen Realismus und Magie changierenden Medem-Touch verdrängt wird.

Penélope Cruz in der Rolle der Magda erfährt, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist. Die Welt scheint für die Mutter eines kleinen Sohnes unterzugehen, zumal sie gerade ihre Stelle als Lehrerin verloren hat und noch dazu weiß, dass sie ihr Mann, ein Uniprofessor, mit einer Studentin betrügt. Gewiss, »Ma Ma« ist auch ein Film über Krebs. Aber er ist ganz und gar anders als alle anderen Filme über die Krankheit. Das Sujet geht auf in Medems Fabulierkosmos, in der spielerisch-kindlich erscheinenden, aber streng durchkomponierten Form des Films. Nichts weniger als eine Geometrie der Liebe und eine Arithmetik der Geschlechterrollen versucht Medem in »Ma Ma« zu gestalten. Parallelen, Tangenten und Palindrome, Kreise und Zyklen durchziehen den Film, als würde Mathematik in Poesie verwandelt oder die Natur in eine fast organische Kunst übersetzt. Ma Ma, zwei Brüste, Geburt und Tod, Mann und Frau...

Bei Medem geht es stets zugleich um das Konkrete und das Übertragene, um das Detail und das Ganze, um den Moment und die Ewigkeit. Der Krebs ist bei ihm ein Krebs, der am Strand herumkrabbelt, und ebenso die tödliche Krankheit. Penélope Cruz ist eine einfache Frau und Mutter in Madrid, sie verkörpert aber zugleich den sexuell und auch religiös aufgeladenen Mythos der Weiblichkeit. Die »Bronze Frau Nr. 6«, eine Plastik von Thomas Schütte, die eine Frau zeigt, die sich in Schmerzen windet, während sie eine Menge Leben und sehr viel Tod in sich zu tragen scheint, hat laut Medem die Figur der Magda inspiriert. Und Gustave Courbets berühmtes Gemälde »L'origine du monde« (»Der Ursprung der Welt«), das einen weiblichen Schoß darstellt, spielt ebenso eine große Rolle in Medems enigmatischem Film.

Magdas Geschichte ist in der nahen Vergangenheit situiert, während eines langen Jahres und zwei Sommern, von 2012 bis 2013. Es ist die Zeit, in der die spanische Ökonomie schwer daniederlag. Es ist aber auch das Jahr, in dem der spanische Fußball wieder triumphierte, bei der Europameisterschaft 2012. Man könnte durchaus Medems Stil mit dem spanischen Fußball und seiner großartigen Kunst der Kombination vergleichen.

Als bei Magda Krebs diagnostiziert und ihr schließlich eine Brust entfernt wird, eröffnen sich ihr dennoch neue Möglichkeiten. Sie, die allein und krank erscheint, erlebt wunderliche Begegnungen. Zu guter Letzt ist sie von einer Schar schöner Männer umgeben. Da ist zuerst ihr Sohn Dani (Teo Planell), der immer da ist und immer dableiben wird. Ein talentierter Fußballer, der Verlust führte Magda und Arturo zusammen und nährt die Hoffnung auf ein andersartiges Glück. Eine besondere Rolle spielt Julián (Asier Etxeandia), Magdas Gynäkologe und Chirurg. Er ist nicht nur Arzt, sondern auch ein begnadeter Chansonnier und ein verwegener Drifter zwischen den Geschlechtern. Einmal taucht gar noch Magdas Ex (Alex Brendemühl) auf, der treulose, unglaublich gut aussehende Philosophieprof, zu einer realistischen Reue und Harmonie fähig.

Ein Kaleidoskop der Begegnungen, auch der Möglichkeiten und der Spielarten der Liebe, entfaltet Medem zwischen Katholizismus und queer cinema. All die schönen, liebenden Männer umschwirren Magda, ohne mit ihr Sex zu haben. Als sie schließlich in einer Rebellion gegen die todbringende Krankheit nicht nur das Verlangen nach Erotik äußert, sondern auch den Wunsch nach einem zweiten Kind, führt sie der Gynäkologe Julian als Conferencier zwischen Ekstase und Passion in einen High-Sex mit drei prächtigen Männern, die wie Avatare all derjenigen wirken, die Magda lieben.

Ein Mädchen will Magda zur Welt bringen, im Wettlauf mit der Krankheit. Sie stellt sich vor, dass es so aussieht wie das sibirische Waisenkind, das ihr Arzt Julian einst adoptieren wollte. Ein Kind der Sehnsucht, aus der Kälte gegen die Kälte, für eine neue Art des Zusammenlebens.

Von Spaniens Wirtschaftskrise bis zur melodramatischen Metaphysik: Medem hat in diesem Spannungsfeld eine wahre Heldin kreiert, ein überzeugendes Äquivalent zu allen mythischen Heroen. Einmal sehen Trainer Arturo und Magdas Sohn im Fernsehen Anthony Manns »El Cid« aus dem Jahr 1961. Der Ausschnitt zeigt Charlton Heston als toten spanischen Nationalhelden, wie er auf ein Pferd gebunden den Strand entlangreitet, allen Gegnern und Dämonen Ehrfurcht gebietend. Zweifellos, die Cruz ist der neue, weibliche Cid.

Meinung zum Thema

Kommentare

MA MA ist ein großartiger Film über die vielen Möglichkeiten mit dem Leben, mit Beziehungen und mit dem Zusammenleben umzugehen und auch über die Polyamorie.

Der Film kann in keiner Weise mit den Filmen Almodovar's mithalten. Es grenzt ans Lächerliche, wie Medem versucht, charakterliche Grenzgänger in den Handlungsstraengen unterzubringen. Niemand wird erklären können, warum die Krebskranke sich in Begleitung eines schwulen Gynäkologen von drei unbekannten Puffgaengern schwaengern lässt.
Desgleichen fehlt jedes Verständnis dafür, weshalb die "liebende" Mutter ihren Sohn mit dem schwulen Arturo in einem Bett schlafen läßt. Der Regisseur versteht die Psychoanalyse nicht einmal ansatzweise. Er sollte einer vollkommen andere Tätigkeit nachgehen.
Vielleicht hilft ihm der berühmte Rutsch
Michael Bednorz

Michael, Deine Meinung ist genial! Sie zeigt auf so fantastische Weise, was für ein intolerant und unterbelichteter Mensch Du bist. Und das ist gut, denn nur weil es Menschen wie Dich gibt, wissen wir anderen wie wertvoll wir sind! Danke dass es Dich gibt, danke dass Du so bist wie Du bist!

Wie schade, dass Sie nicht die Fähigkeit besitzen sich einmal auf eine andere Sichtweise zu diesem Thema einzulassen. Sie halten sich zudem noch für besonders scharfsinnig und entdecken doch leider dabei überhaupt nicht, dass dieser Film ein besonderes Kunstwerk ist. Dafür braucht es eben auch ein wenig mehr Intelligenz,. Gehen Sie mal ein paar Schritte zurück. Das ist gemeint auf die Betrachtung eines Gemäldes. Mit etwas Abstand erschließen sich ganz andere Erkenntnisse

Ich beherrsche nicht die Kunst, mich kurz zu fassen, deshalb bin ich froh, mich anschließen zu
können:ein faszinierender, mitreißender Film, klug und poetisch, inspirierend und sehr berührend!

Wie kann man darauf kommen, dass der Gynäkologe und Arturo schwul seien. Wer so was schreibt, hat den Film nicht gesehen oder nicht verstanden.
Der Film ist für mich eine Homage an das Leben mit all seinen Facetten und Widersprüchen. Und an alle Firmen der Liebe.
Wunderbar!

Ich freue mich über die neuen Filme in denen Frauen endlich Handelnde sind, und nicht nur zuhause auf ihren Helden warten. Mir gefällt die Form des Umgangs aller Personen dieses Films, schön gemacht!

So viel Kitsch ! habe ich als 95jährige, einst vom Krebs Betroffene, allgemein kunst- auch filminteressiert bisher nicht vorgesetzt bekommen.

Ein etwas anderer Film, der entsetzlich viel Schmerz, mut, Stärke und Liebe zeigt. Auf eine ganz besondere Art. Dafür braucht es allerdings etwas mehr als nur die pragmatische mainstream Sichtweise. Genau das zeigt sich hier in den Bewertungen. Schön, dass die meisten diesen Film so verstanden haben : er ist eine Hommage an das Leben und die Liebe und die Hoffnung trotz aller widernisse des Lebens, diese unglaubliche Kraft und lebensfreude in sich zu finden. Wer das nicht versteht, soll einfach all die anderen Filme schauen, von denen es schon genug rauf und runter gibt!

Ich wünsche mir mehr davon!
Eine tiefe Verbeugung, Respekt und Dankbarkeit gehen an den Regisseur, die Schauspieler - besonders an Penélope Cruz und Teo Planell - sowie das gesamte Team.

Ich habe den Film heute in der Mediathek gesehen. Er hat so viele Facetten des Lebens gezeigt und ich fühlte mich an den langen Leidensweg meiner im Oktober 2022 an Lungenkrebs verstorbenen Schwester erinnert. Zuerst dachte ich, ich könne nicht aushalten, aber der Film hat mir Kraft gegeben.

In großen Teilen kann ich die Position von Michael Bednorz vom 01.01.2023 nachvollziehen - würde sie für mich aber anders formulieren:
Der Film ist über große Strecken im Detail so unwahrscheinlich, dass er schlicht unglaubwürdig wird.
Vielleicht kann man es als Fantasy hinnehmen.
Viele Dialoge waren für mich schlicht flach.
Auf einer anderen Ebene ist der Film aber wunderbar menschenfreundlich.
Und man kann die Story im Ganzen auch als kraftvolle Aufforderung lesen, das Leben mit seiner Vielfältigkeit zuzulassen.
Und es nicht reduktionistisch in Mainstream-Rollenbilder zu pressen.

Das Leben verläuft nunmal nicht linear. Wir Alle müssen uns ihm stellen und auf das reagieren, was das Leben für uns bereit hält. Bisweilen treffen wir aus skurrile Menschen, Situationen, bisweilen stehen wir über allem der sind überfordert. Wir wünschen uns, Wahrnehmung unserer selbst und Anerkennung. Wir möchten lieben und geliebt werden. Wir sind voller Ängste und Bedenken, oft unfrei. Wir meistern sie, wir scheitern. Einmaligkeit, Freiheit, Träume und Hoffnungen, die Bereitschaft loszulassen und die Angst davor. Festhalten an bewährtem entsprechen von Idealen….Das alles macht uns aus, spiegelt dieser Film. Urteilen Sie selbst. Ich bin beeindruckt! Captain Nemo

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