Kritik zu The Loneliest Planet

© Camino

2011
Original-Titel: 
The Loneliest Planet
Filmstart in Deutschland: 
03.01.2013
L: 
113 Min
FSK: 
12

Zwei junge, verliebte Rucksackreisende, ein einheimischer Guide, die Weite der georgischen Berge – und dann ein einziger Moment, nach dem nichts mehr so sein kann, wie es war

Bewertung: 4
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So sieht doch Glück aus: Ein junges Paar erkundet ein fremdes Land, verliebt und verspielt, offen für neue Erfahrungen mit Land und Leuten. Vor der bereits geplanten Hochzeit machen sie noch diesen Trip durch Georgien, ein touristisch kaum erschlossenes Land, und die Kamera ist so nah bei ihnen, dass man anfangs glauben könnte, dies sei ihr persönliches, intimes Urlaubsvideo. Doch bereits vor dem Aufbruch von Alex (Gael García Bernal) und Nica (Hani Furstenberg) in die einsame Bergwelt streut die Inszenierung ganz beiläufig Irritationen. Einmal laufen sie mit ihren Rucksäcken an einem hohen Zaun entlang. Ein Ball fliegt herüber. Sie werfen ihn zurück. Er fliegt wieder herüber, und aus dem Hin und Her wird ein Spiel, doch der Werfer auf der anderen Seite bleibt ohne Stimme, ohne Gesicht, und schließlich kommt der Ball einfach nicht mehr. Eine Banalität – und dennoch hat sich die Situation mit einer undurchschaubaren Bedeutung aufgeladen. Mit ähnlichen Befremdungen unserer Wahrnehmung arbeitet The Loneliest Planet ständig und sehr subtil.

In den Bergen weitet sich dann der Blick. Durch majestätische Landschaften bewegen sich die Wanderer, und aus der Zweier- ist eine Dreierkonstellation geworden: Das Paar hat für die mehrtägige Tour einen Bergführer engagiert, glänzend gespielt von Bidzina Gujabidze. Sein Dato ist kein Freund großer Worte, dafür ein Liebhaber rustikaler Scherze. Doch auch mit diesem Fremden kommen die beiden Touristen gut klar – bis jene dramatische Situation eintritt, die zum Bruch führt. Es ist eine an sich minimale Handlung, ein bloßer Reflex, aber auf perfide Weise stellt er die Beziehung infrage und wirft seinen Schatten über den Rest des Films.

Wer nun allerdings ein kathartisches Beziehungsdrama erwartet, sei gewarnt: The Loneliest Planet bleibt ein schwebendes Gebilde aus Andeutungen, ein Werk von asketischer Offenheit. Julia Loktev erzählte bereits in ihrem ersten Spielfilm Zwei Tage, zwei Nächte eine minimalistische Geschichte mit hypnotischer Präzision. Eine junge Selbstmordattentäterin soll da im Herzen von New York eine Bombe zünden, und in der minutiösen Schilderung der Vorbereitungen machte Loktev den Zuschauer zum Spielball seiner eigenen Erwartungen – ein Verfahren, das sie hier noch verfeinert und zugleich erweitert hat. Jederzeit ist man auf alles gefasst und verfängt sich in Deutungsversuchen von scheinbar – manche würden sagen: tatsächlich – banalen Details. So wird der Film zur Versuchsanordnung, und Probanden sind nicht nur die Hauptfiguren, sondern ebenso die Zuschauer. Eine filmische Konstruktion, die von der Tragfähigkeit einer einzigen zentralen Szene abhängt, auf die alles Vorherige hinsteuert, aus der alles Spätere folgt, ist selbstverständlich höchst fragil. Und nicht alles an dieser Adaption von Tom Bissells Erzählung »Expensive Trips Nowhere« mag stimmig erscheinen. Dennoch entfaltet das Werk enorme atmosphärische Spannung. Meisterhaft spielt Loktev mit Gegensätzen von Weite und Beklemmung, Intimität und Fremdheit, spärlichen Dialogen und beredten Gesten. Ein mutiger, ein philosophischer Film, der keine Antworten serviert, sondern Fragen stellt.

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