Kritik zu Lollipop Monster

© Edition Salzgeber

Zwei Mädchen, wie sie kaum unterschiedlicher sein könnten: Ari und Oona, die eine blond und aus spießiger Kleinfamilie, die andere dunkel und aus der Boheme, aber Regisseurin Ziska Riemann lässt sie aufeinanderstoßen und zusammenkommen

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»Lollipop Monster« beginnt mit einer Show. Eine Band, die sich Tier nennt, raunt Texte zu Voodootanz und afrikanischer Mystik und will doch nur davon erzählen, dass der Mensch selbst das größte Raubtier ist. Dann wechselt das Bild, und vor uns liegt ein kleines Haus am Stadtrand, mit Garten und Kleinfamilie. Die Idylle birgt das kleinbürgerliche Grauen, eine Tochter im Barbielook, einen Sohn mit eingebildeten Krankheiten, eine überversorgende Mutter und einen kleinkarierten Vater mit großkarierten Anzügen. Dort lebt Ari, die sich nicht zu helfen weiß in ihrer Vorpubertät, zwischen der aufopfernden Mutter, die dem ach so kranken Sohn jeden Wunsch erfüllt und sich dafür immer wieder Schläge einhandelt, und dem kopfschüttelnden Vater.

In der Stadt gibt es ein zweites Jugendzimmer, in dem dieselbe Musik läuft. Dort schminkt sich Oona die Augen schwarz, um sich für die Vernissage ihres Vaters fertig zu machen. Doch auch ihre Welt hat Risse. Der Vater hat schon jahrelang kein neues Bild mehr gemalt, geschweige denn eines verkauft, und die Mutter vergnügt sich mit dem Schwager. Als Oona die beiden erwischt, hängt sich der Vater auf. Nun beginnt ein Kreislauf aus Wut, Selbstverachtung und Apathie, bis sie Ari kennenlernt. Dass das Mädchen in Schwarz und die bunte Blondine Freundinnen werden, ist ebenso unwahrscheinlich wie das absurde Happy End des Films, aber hier geht es nicht um Alltagsplausibilität.

Ziska Riemann will mehr. Ganz bewusst geht sie an die Grenzen der Nachvollziehbarkeit; sie zeigt die Probleme von jungen Mädchen so, wie sie individuell empfunden werden. Denn im Kern sind sie alle ähnlich, nur der Umgang ist verschieden. Während Ari sich wahllos auf sexuelle Abenteuer einlässt, zieht sich Oona in sich selbst zurück, ritzt sich die Arme, um sich überhaupt noch zu spüren, und verliert schließlich gänzlich den Lebensmut. Ausschlagend zwischen Wut und Trauer, Aggression und Depression inmitten einer unbekümmerten Wohlstandsgesellschaft zeigt dieser grellbunte Film seine Heldinnen.

Ziska Riemann ist die bislang einzige Schülerin von Comiclegende Gerhard Seyfried, sie hat Erzählungen geschrieben, Drehbücher verfasst und eine Platte aufgenommen. All das fließt in den Film ein. Die dunklen Zeichnungen, die wie Zwischentitel fungieren, die treibende Musik, die die beiden Welten der Mädchen verbindet, und nicht zuletzt eine Filmsprache, die sich aller Mittel bedient und sich in keiner Form einschränken lassen will, machen die Vitalität von »Lollipop Monster« aus. Ziska Riemann arbeitet mit Farbfiltern und Handkamera, mit einem wilden Schnitt, der jedem Musikvideo den Atem austreiben könnte, dann wieder mit langen ruhigen Fahrten. Sie kontrastiert die dunkle mit der bunten Welt, die Künstlerboheme mit der spießigen Kleinfamilie, Sex und Gewalt mit Lolita-Charme und kühler Distanziertheit. »Lollipop Monster« beschreibt eine sehr alltägliche Situation, variiert sie aber so gekonnt, dass kein Genre daraus wird. Selbst wenn der Film leicht überladen wirkt, regt er doch dazu an, sich jenseits von Didaktik und Moral mit den Problemen der Mädchen auseinanderzusetzen.

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