Kritik zu Le Passé

© Camino

Nach »Nader und Simin – Eine Trennung« richten sich hohe Erwartungen an den nächsten Film Asghar Farhadis: Der neue Film profitiert vom fremden Blick des Regisseurs auf die französische Kultur

Bewertung: 4
Leserbewertung
3.75
3.8 (Stimmen: 4)

Welch großes Glück für einen Filmemacher, sein Werk so folgerichtig gestalten zu können, dass ein Film auf den vorangegangenen antworten darf! Asghar Farhadis neuer Film setzt da ein, wo wir »Nader und Simin – Eine Trennung« verlassen haben. Dort soll eine Tochter vor dem Scheidungsrichter zur Trennung ihrer Eltern aussagen. »Le Passé« greift den Grundkonflikt des Films spiegelbildlich auf: Dort war es eine Frau, die aus dem Iran auswandern wollte, hier kehrt ein Iraner nach Frankreich zurück, das er vier Jahre zuvor verlassen hat.

Sein französisches Debüt sollte eigentlich eine andere Geschichte erzählen. Mit der Dramatikerin Yasmina Reza arbeitete Farhadi an einem Stoff über eine Iranerin, die nach Paris kommt, um einen Mann zu treffen, den sie im Internet kennengelernt hat. E-Mails spielen auch in »Le Passé« eine wichtige, fatale Rolle.

Nach vier Jahren kommt Ahmad (Ali Mosaffa) nach Paris zurück, da seine Frau Marie (Bérénice Bejo) erneut heiraten will. Ihre ältes­te Tochter Lucie (Pauline Burlet) leistet jedoch erbitterten Widerstand gegen ihre Pläne und hegt tiefe Abneigung gegen Samir (Tahar Rahim), Maries neuen Lebensgefährten. Sie ist davon überzeugt, dass dessen im Koma liegende Frau einen Selbstmordversuch begangen hat, als sie von der Beziehung der beiden erfuhr. Voller Empathie versenkt Farhadi seinen Blick in diese heikle Familienaufstellung und erkundet dabei ein entschieden untouristisches Paris.

Seine gründliche, vorurteilslose Neugierde bringt den Humanisten Farhadi in vertrackten dramaturgischen Zugzwang. »Le Passé« ist ein vielstimmiger Film, der diverse Blickwinkel einnimmt. Er setzt jede Figur in ihr Recht; allesamt werden sie von einem unruhigen Gewissen umgetrieben. Sie alle haben ihre Gründe, für die einzustehen Zeitaufwand bedeutet. So erfährt jeder Streit seine Fortsetzung. Der Bruch ist nie endgültig, stets hat er ein Nachspiel der Erklärung oder gar Versöhnung. Das Drehbuch nimmt die Form einer Spirale an. Zwar entfernt es sich immer weiter vom ursprünglichen Konflikt zwischen Marie und Ahmad, drängt ihn zugleich aber in die Rolle des Vermittlers. Sein Mandat ist die Mediation, die konstruktive Beilegung des Streits. Er übernimmt es selbstlos (nur am Ende steht er für sich ein, will erklären, weshalb er Marie verlassen hat und stößt auf taube Ohren) und mit großem Talent. Sein Status als Außenseiter verschafft ihm einen privilegierten Zugang zu den Kindern, für die er immer nur der Stiefvater war, die ihn aber als verständnisvolle Autorität akzeptieren. Auf einer entscheidenden Ebene ist »Le Passé« ein Film über Erziehung: Die Kinder sind zugleich Opfer und Richter des Verhaltens der Erwachsenen.

Trotz der Vielzahl der Handlungsstränge ist es kein zerstreuter Film. Farhadi greift das Modell der kriminalistischen Recherche auf, mit dem er schon in früheren Filmen der Seelenlage seiner Charaktere auf die Spur kommen will. Hier ist es die akribische (sich freilich etwas sehr verästelnde) Rekonstruktion der letzten Tage vor dem Selbstmordversuch von Samirs Frau. Immer neue Versionen der Ereignisse legt der Film frei. Alltagsdetails werden zu Indizien, die Farhadi zugleich symbolhaft auflädt. Den Glasscheiben, die regelmäßig Dialoge zu Pantomimen werden lassen, kommt hier besondere Bedeutung zu. Sie akzentuieren die Distanz und Sprachlosigkeit, welche die Figuren trennt. Je existenzieller die Nähe zwischen ihnen, desto schwieriger ist ihre Kommunikation. Nicht weniger konsequent verfolgt Farhadi weitere Motive: Maries Verletzung am Handgelenk, die dem Anstreichen der Wohnung geschuldet sein könnte, aber auch dem Kalziummangel während ihrer Schwangerschaft, die chemische Reinigung Samirs, wo die Schandflecke der Vergangenheit getilgt werden sollen, das Wohnhaus als Baustelle, die als Metapher für das Leben als Provisorium fungiert. Entscheidende Szenen lässt Farhadi in Abstellräumen spielen, in denen sich das Unerledigte angesammelt hat. Während des Vorspanns wird der Filmtitel zwar von einem Scheibenwischer ausradiert. Aber Farhadi weiß genau, was William Faulkner meinte, als er in »Licht im August« schrieb: »Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen.

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