Kritik zu Kirschblüten und rote Bohnen

© Neue Visionen

Sinnlichkeit in der Imbissküche: Eine Seniorin bringt einem Exalkoholiker die richtige Zubereitung der Rote-Bohnen-Paste bei, und prompt verändert
sich beider Leben

Bewertung: 3
Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 2)

Das Unsichtbare im Alltag als sinnliche Erfahrung spürbar machen – so ähnlich könnte man auch die Faszination des Kinos von Naomi Kawase erklären. Mit diesen Worten beschreibt die japanische Filmemacherin in Interviews das Gefühl, das sie beim Lesen von Durian Sukegawas Roman »An« befiel. Die deutsche Übersetzung des Wortes »An« klingt vergleichsweise profan. Es meint die Paste aus roten Bohnen, mit der die von den Japanern heiß geliebten Dorayaki-Pfannkuchen traditionell gefüllt sind. Der ganzheitliche Zauber des süßen Snacks erschließt sich einem westlichen Publikum nicht unmittelbar, so dass sich der deutsche Verleih dazu entschloss, das Wort »Kirschblüten« zu ergänzen, unter dem sich noch jeder mit der japanischen Kultur halbwegs vertraute Kinogänger etwas vorstellen kann. Die kurze Kirschblütensaison im Frühjahr ist der alljährliche Höhepunkt des Japantourismus: ein Postkartenklischee wie die penibel geharkten Zengärten, gleichzeitig ein Symbol für die Schönheit des Vergänglichen.

Im Gegensatzpaar des Titels liegt in gewisser Weise schon das Problem von Kawases Film »Kirschblüten und rote Bohnen«, der die unwahrscheinliche Freundschaft zwischen zwei von der rigiden japanischen Gesellschaft Verstoßenen erzählt. Der eine Begriff muss sozusagen wettmachen, was der andere nicht an intrinsischen Qualitäten vermitteln kann. Der Exalkoholiker Sentaro betreibt in Tokio ein kleines Dorayaki-Geschäft, obwohl er die süßen Pfannkuchen eigentlich nicht mag. Die Geschäfte laufen entsprechend schlecht, bis eines Tages eine alte Frau in seinem Laden auftaucht und ihn in das Geheimnis des An einweiht. Auch Tokue hat ein Geheimnis, doch der wortkarge Mann und die leicht versponnene Seniorin verständigen sich vornehmlich über ihre gemeinsame Arbeit in der kleinen Küche. Die Zubereitung der roten Paste besitzt in sich eine Zenqualität, manchmal spricht Tokue auch mit den Bohnen. In den langen Pausen, wenn sie darauf wartet, dass der Dampf aus den Kesseln einen anderen Geruch annimmt, beobachtet sie versonnen die rosa Blüten der umliegenden Kirschbäume.

Zwischen dem Klischee und der Magie besteht in Kawases Film eine Schieflage, wie man das aus ihren bisherigen Filmen nicht kannte. Schon »Still the Water« wurde aufgrund seiner mitunter arg esoterischen Naturpoetik von Kritikern eher zurückhaltend aufgenommen, obwohl diesem Film noch gelang, woran »Kirschblüten und rote Bohnen« letztlich scheitert: die sinnlichen Zustände einer innerlichen Verfassung in Bilder zu fassen, die in einem dokumentarischen Sinn absolut konkret bleiben, sich der strengen Logik der Erzählung aber entziehen. Kawase filmt den japanischen Frühling – später auch den Herbst – mit einer luziden Klarheit, die der immateriellen Beschaffenheit des Kinos (Licht! Farbe!) ein Denkmal setzt. Dem Klischee entkommt sie dennoch nicht. Es sind diesmal jedoch nicht die Kirschblüten, sondern der melodramatische Kitsch eines allzu gefälligen Gefühlskinos.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt