Kritik zu Kathedralen der Kultur

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2014
Original-Titel: 
Kathedralen der Kultur
Filmstart in Deutschland: 
29.05.2014
V: 
L: 
156 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Sechs prominente Filmemacher – Wim Wenders, Robert Redford, Michael Madsen, Michael Glawogger, Margreth Olin und Karim Aïnouz – porträtieren sechs architektonische Meisterwerke, indem sie sie jeweils für sich sprechen lassen

Bewertung: 3
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 2)

Der Blick soll sich umkehren, die Wahrnehmung verschieben. In der Regel sind es die Menschen, die sich Bauwerke mit Blicken und Schritten aneignen. Mal sind sie dabei unaufmerksam, betrachten sie als reinen Zweck, mal vertiefen sie sich regelrecht in jede ihrer Einzelheiten. In dem in 3D gedrehten Architekturfilm Kathedralen der Kultur aber wendet sich der Blick. Die Perspektive der sechs Filmemacher, die sechs einzigartige Bauwerke porträtieren, ist die der Gebäude. Sie versuchen, die Welt und die Menschen mit den Augen eben dieser architektonischen Großleistungen zu sehen. Ein faszinierendes, aber eben auch unmögliches Projekt, in dessen Rahmen Wim Wenders die Berliner Philharmonie, Michael Glawogger die Russische Nationalbibliothek in Sankt Petersburg, Michael Madsen das Gefängnis Halden, Robert Redford das Salk Institute in La Jolla, Margreth Olin das Opernhaus in Oslo und Karim AÏnouz das Pariser Centre Pompidou erkunden.

Auf der einen Seite passt dieser Versuch, Steinen und Beton eine Stimme und mehr noch ein Bewusstsein zu geben, natürlich zu der zweifelhaften Tendenz hin zur Vermenschlichung, die schon seit Jahren etwa das Genre der Tierdokumentationen erfasst hat. Auf der anderen ist diese Form der Aneignung natürlich ein intellektuelles Spiel. Es kann eben kein Zweifel daran bestehen, wer hier blickt und spricht. Im besten Fall finden die sechs Filmemacher also auf dem Umweg über die fremde Sichtweise zu sich selbst zurück und entdecken dabei das gewählte Bauwerk noch einmal neu.

Die Vision eines schizophrenen, zwischen den Menschen und den Gebäuden gespaltenen Kinos ist also diesem Projekt zumindest unbewusst eingeschrieben. Mad­sen, Olin und Redford verleugnen sie allerdings eher. Sie verstecken sich hinter den Bildern und Worten, suggerieren eine Einheit, die letztlich das Wesen des Bauwerks auf simple Beschreibungen reduziert und im Fall des Salk Institute, eines grandiosen Ensembles von Gebäuden und Landschaft, Himmel und Erde, Wasser und Stein, auch räumlich zu kurz greift. Gelegentlich wird die gespaltene Vision dieser filmischen Auseinandersetzung mit Architektur allerdings auch greifbar, wie in Glawoggers unglaublich eleganter Hommage an die Russische Nationalbibliothek. Während die Kamera den Schritten der Bibliothekarinnen auf ihren Wegen durch die verwinkelten Räume und Gänge folgt, erklingen auf der Tonspur Passagen aus einigen der hier gesammelten Werke. Das Gebäude spricht, aber nicht mit seinen Worten, sondern mit denen der Dichter und Schriftsteller, deren Schaffen es für die Menschheit erhält. Häuser und Bücher, Werke des Menschen, die doch so viel größer sein können als er selbst.

Ähnlich beeindruckend ist auch Karim AÏnouz’ Annäherung an das 1977 von Renzo Piano und Richard Rogers gebaute Centre Pompidou, das selbst heute noch etwas Fremdes im Pariser Stadtbild hat. Retro-Future, ein Objekt der Zukunft, das mittlerweile vergangene Ideen und Vorstellungen spiegelt. In teilweise atemberaubenden 3D-Bildern, die angesichts all der Gänge und Rolltreppen einen fast schon soghaften Eindruck hinterlassen, filmt Ainouz die Chronik eines Tages, vom Morgengrauen bis zur Nacht. Die Worte, die dazu ertönen, sind angenehm zurückhaltend. Sie liefern Informationen und einige Impressionen, aber letztlich ist es das sich wandelnde Licht, das stete Spiel zwischen Innen und Außen, das tatsächlich das Wesen des Gebäudes einfängt.

Im Vergleich zu dem unaufgeregten, wundervoll beiläufigen Offkommentar, der AÏnouz’ Segment begleitet, wirken die Beobachtungen der Berliner Philharmonie in Wim Wenders’ Porträt fast schon aufdringlich. Aber angesichts dieser von Hans Scharoun entworfenen Kathedrale der Kultur – in diesem Fall passt diese Bezeichnung sogar – hat das beinahe naive Pathos des Voice-over durchaus seinen eigenen Reiz. Es spricht zwar die Philharmonie, aber Wenders macht nicht den geringsten Hehl daraus, dass er ihr seine Vorstellungen und Überzeugungen in den Mund gelegt hat. So feiert er ein Gebäude, das selbst wieder eine Feier des demokratischen Denkens und Bauens ist.

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