Kritik zu Just the Wind

© Peripher Filmverleih

Ein Tag und eine Nacht im Leben einer ungarischen Roma-Familie: Benedek Fliegauf verfilmt das Klima der Bedrohung zur Zeit der rassistischen Roma-Morde in seiner Heimat

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Im Vorspann ist von gewalttätigen Übergriffen auf Roma, in Ungarn, zwischen 2008 und 2009 die Rede, von 16 Häusern, die mit Molotowcocktails angegriffen, von 63 Schrotflintenschüssen, die abgefeuert wurden, von sechs Menschen, die gestorben sind. Der Film sei zwar von der Verbrechensserie inspiriert, entspreche aber nicht den wahren Ereignissen und den veröffentlichten Polizeiinformationen. Schwer lasten diese Informationen auf den nächsten 86 Minuten.

Mit den ersten Bildern klinkt sich der Film in den Alltag einer Roma-Familie ein, die er einen Tag lang begleiten wird, vom Erwachen noch vor dem Morgengrauen bis zum Schlafengehen in der Nacht, vom morgendlichen Ausschwärmen der Familienmitglieder bis zur abendlichen Rückkehr. Man sieht, wie im Dunkel Bewegung in eng verknäulte Körpergerät, wie sich Beine und Arme voneinander lösen, denn auf der am Boden liegenden Matratze liegen Mutter, Tochter und Sohn gemeinsam auf engstem Raum, der Großvater etwas weiter entfernt. Der Vater ist schon in Kanada, sobald das Geld zusammen ist, solldie Familie nachkommen, weg von der Gefahr, die in Ungarn auf allen Wegen lauert, in der friedlichen Idylle der Sommerwiesen, im lichten Unterholz der Wälder, aber auch im Pausenraum in der Schule, in der die Mutter putzt, nachdem sie zuvor den ersten Job als Gartenarbeiterin hinter sich gebracht hat: »Es stinkt nach Tod«, frotzelt der Hausmeister der Schule, und dreht der von der Arbeit erschöpften Frau den Ventilator entgegen: »Schon besser«.

Auf ihren Wegen zur Arbeit, auf dem Schulweg der Tochter, beim anschließenden Baden im See, bei den Spaziergängen des kleinen Sohnes, der, statt zur Schule zu gehen, durch die Gegend streunt, ist die Kamera immer unangenehm nah dran. Sie rückt den Menschen auf die Pelle, zeigt immer wieder nur Ausschnitte von Händen, Füßen, Beinen, ist immer unscharf und zittrig in Bewegung, als würde sie mit diesen Menschen bangen. Immer in Auflösung sind die Bilder, und viel zu dunkel. Nie kann man ganz sicher sein, was man sieht, was im Dunkeln lauert. In jeder Hinsicht verweigert der Film den Überblick und verbreitet stattdessen ein beunruhigendes Gefühl ständiger Bedrohung, ein beklemmendes Klima der Angst, das weit über den konkreten Schauplatz und die Situation der Roma hinaus strahlt und von jeder Form von Fremdenhass und Diskriminierung handelt.

Unruhe und Angst sind allgegenwärtig, immer sind diese Menschen angespannt, nie sieht man sie lachen, immer haben sie den Blick gesenkt, immer sind sie geduckt vor einer lauernden Bedrohung. Jedes Autogeräusch ist eine potenzielle Gefahr. Eine Wasserschlacht bringt mit den spritzenden Tropfen einen Moment unbeschwerter Kindheit, eine Kissenschlacht einen Moment lang Leben in die Lethargie, aber mit den herumfliegenden Federn auch noch mehr Chaos und Schlamperei in die schummrigen, verwahrlosten Wohnungen mit notdürftiger Möblierung, abgerissenen Tapeten, herumliegendem Müll. Sirrende Gitarrenklänge verbreiten zusätzliche Anspannung in einem Film, der hinter seinen scheinbar so ungeordneten Bildern außerordentlich ökonomisch und präzise erzählt ist und zu Recht auf der Berlinale 2012 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde.

Am schlimmsten aber ist die Szene, in der der kleine Junge in einem der ausgebrannten Häuser herumstöbert und sich in einem Schrank verstecken muss, als zwei Polizisten den Schauplatz des Verbrechens betreten. Die Hauptsache hätten die Angreifer vermasselt, meint der eine der Cops. »Die waren keine Streuner, die haben ihre Kinder zur Schule geschickt. Das waren arbeitsame Zigeuner, die muss man doch nicht umbringen. Das verwirrt nur die Botschaft. (. . . ) Man denkt, sie wären erschossen worden, weil sie Zigeuner wären.« Mit angehaltenem Atem hört man diese Ungeheuerlichkeiten, fühlt mit dem kleinen Jungen, der sich das im Schrank zusammengekauert anhören muss, und hört, wie später unter seinen Schritten die Pistazienschalen knacken, die der rassistische Cop achtlos in der Wohnung fallen ließ.

»Nur der Wind«, sagt die Mutter beruhigend, als ihre Tochter nachts aus dem Schlaf aufschreckt. Doch natürlich ist es nicht nur der Wind, der nachts ums Haus streicht.

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