Kritik zu Joker

© Warner Bros. Pictures

Komödienspezialist Todd Phillips macht aus dem bekannten DC-Bösewicht einen Helden unserer Zeit – aber nicht unbedingt im Sinne der bitterernsten DC-Fans. Und zu Lachen gibt es auch nicht viel in dieser »origin story«, die von Einsamkeit, sozialen Verwerfungen und politischen Missverständnissen handelt

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4 (Stimmen: 2)

Der »Joker« als Regieprojekt von Todd Phillips löste schon zum Produktionsstart befremdete Reaktionen aus. Viele, vor allem die für ihren bitteren Ernst berüchtigten DC-Fans, fragten sich stirnrunzelnd, was wohl der Regisseur von Filmen wie »Old School«, »Road Trip« und der »Hangover«-Trilogie mit dem prominentesten aller Bösewichte des DC-Universums anstellen würde. Der oft grobe, aber darin auch subversiv-selbstreflexive Männerhumor, der Phillips' Komödien auszeichnet, läuft auf den ersten Blick ganz gegen den Strich des eher ungebrochenen maskulinen Pathos, das nun mal die Welt von Batman, Superman und selbst noch die des zu Späßen aufgelegten Aquaman durchzieht. Weshalb die Ankündigung, dass die Titelrolle des Joker Joaquin Phoenix übernahm, wiede­rum beruhigend auf die Fans wirkte – schien Phoenix mit seinem Talent für die Darstellung düsterer, gequälter Männerseelen doch wieder eher in die DC-Tradition zu passen.

Und in der Tat: Phoenix enttäuscht nicht, sondern liefert einen sowohl schillernden als auch zurückhaltenden Auftritt, der sich in seiner Mischung aus Kläglichkeit und Gewaltbereitschaft als grandiose Gratwanderung zwischen Opfer- und Täterstatus nachhaltig einprägt und den bisherigen Interpretationen der Joker-Figur durch Heath Ledger und Jack Nicholson etwas Eigenständiges hinzufügt. Aber es liegt längst nicht allein an Phoenix' Schauspielkunst, dass ­»Joker« mit der Weltpremiere in Venedig schon gleich zum meistdiskutierten Film und heißen Oscarkandidaten aufstieg. Vielmehr ist Todd Phillips ein Film gelungen, der auf eine Weise zur Gegenwart spricht, die Kritiker zu Sätzen wie »Superheldenfilme werden nie mehr dasselbe sein« hinriss.

Die Vorhersage mag etwas zu hoch gegriffen sein, zumal Phillips seinen »Joker« geradezu strategisch aller Superhelden-Genre-Elemente entkleidet. Der Film erzählt zwar eine »origin story« für einen der berühmtesten Bösewichte des DC-Comic-Universums, spielt im bekannten, fiktiven Gotham City und verwendet vertraute Namen und Figuren wie Thomas und Bruce Wayne, aber es ist zugleich eine Welt ganz ohne Superkräfte. Stattdessen ist dieses Gotham geprägt durch müde Sozialarbeiterinnen, Kürzungen bei der Gesundheitsfürsorge und einen schlecht besuchten Comedy Club. Der von Phoenix gespielte Joker heißt noch Arthur Fleck, wohnt als sozial isolierter Mann bei seiner alternden Mutter und träumt von einer Karriere als Stand-up-Comedian. »Wenn ich früher erzählt habe, ich wolle Komiker werden, haben alle immer gelacht; wenn ich jetzt auf der Bühne stehe, lacht keiner mehr!« Das ist sein bester Witz.

Wie aus dieser traurigen Gestalt mit mentalen Problemen der reuelos mordende Joker wird – das erzählt der Film als Geschichte einer Verkettung von unglücklichen Umständen, die im Takt mit Entwicklungen der Gegenwart, wie wir sie kennen, eine unheilvolle Dynamik entwickelt. Wachsende Ungleichheit, Fremdenfeindlichkeit, Straßenaggressionen. Es ist diese wohlkalkulierte Kombination, die den Film so verstörend macht: Phoenix' Joker wird nicht zu der Sorte Antiheld, dessen Missetaten man schließlich bewundert oder gar als verdiente Rache bejubelt. Nein, Arthur Fleck bleibt auch als Joker ein armer Wurm, und wenn seine Taten bejubelt werden, dann weil die sich unterdrückt fühlenden Bewohner von Gotham sie missverstehen.

Dass Phillips dies in seinem Film so klar auseinanderhält und die Empathie für den gestörten, traumatisierten Mann mit dem Gutheißen seiner Gewalttaten nicht verwechselt – das lässt den Film völlig neu erscheinen. »Joker« schließt zwar an den kalten Nihilismus von Heath Ledgers Auftritt in Christopher Nolans »Dark Knight« an, hat zugleich aber mehr gemeinsam mit der depressiven Präzision der Milieu- und Männerporträts der Scorsese-Filme »Taxi Driver« und »King of Comedy«. Dass ausgerechnet Robert De Niro in »Joker« als Idol und Gegenspieler von Arthur Fleck auftritt, ist weniger ein »guter Witz« als eine düstere Referenz, die zugleich den Ernst des Films bezeugt.

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