Kritik zu Istanbul United

Trailer OmU © Port-au-Prince

Farid Eslam und Olli Waldhauer setzen in ihrer Dokumentation den historischen Moment ins Bild, in dem die heftig verfeindeten Fans der verschiedenen Istanbuler Mannschaften sich gemeinsam den Gezi-Park-Protesten anschließen

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Der Fußball bildet eine eigene Welt, in  der es sich auf eine andere, fast utopische Weise lebt: im Wochentakt, auf Ergebnisse hin. Unter den Fans gibt es keine Klassen; nicht wer, sondern für wen man ist, interessiert. Kerem Bürbüz, der Galatasaray-Fan in Istanbul United, beschreibt die spezifische Gemeinschaftskonstruktion des Fußballs in der realen Welt sehr schön: Wenn er ein Trikot seines Vereins trage, benehme er sich wie ein Repräsentant, nicht trunken, nicht grölend. Und wenn er jemanden sehe im Trikot seines Vereins, dann sei der ihm sofort sympathisch.

Solche Integrationskräfte müssen den Film schon deshalb faszinieren, weil er sich an Massen richtet, die der große Fußball immer schon anzieht. Der Transfer vom Massen­ereignis Fußball im Stadion ins Kino funktioniert nur häufig nicht recht. Was damit zu tun hat, dass die Binnenerzählung, die der Fußball in der Fankurve bildet, vom Film aufgebrochen wird – heraus kommen dann meistens banale Erzählungen vom wirklichen Leben, deren gemeinsamer Nenner der Fußball ist (wie im Union Berlin-Film vor ein paar Monaten).

In Istanbul United von Farid Eslam und Olli Waldhauer ist der Ansatz zumindest ambitionierter: Das reale Leben ist hier nicht der Alltag der Fans, sondern der Ausnahmezustand der Gezi-Park-Proteste. Die fast utopische Pointe des Dokumentarfilms besteht in der plötzlichen politischen Einigkeit von hocherhitzten Anhängern der drei hart konkurrierender Istanbuler Clubs (Galatasaray, Besiktas und Fenerbahçe). Die Ankunft der vereinten Fußballfans in der Protestbewegung gegen die korrupte Durchdrückpolitik Erdogans sei wie das Eintreffen der Kavallerie gewesen, sagt jemand. Und tatsächlich ist das, was man auf Demonstrationen können muss, das, was man in Fußballstadien lernt: originell und stimmgewaltig zu skandieren (»Beschießt uns doch mit Tränengas!«).

Leider ist der Weg bis zum Zusammenschluss von Fußballfanatismus und politischer Entrüstung etwas lang. Istanbul United geht für jeden Verein mit eigenem Vertreter in die jeweilige Fankurve (auch um etwas von der Faszination des Gruppengefühls mitzunehmen), schneidet dann um auf gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Fans (um das Glück der Versöhnung schwerer wiegen zu lassen) und überlässt schließlich Archivmaterialien ohne Kommentar ausführlich die Nacherzählung der Gezi-Park-Bewegung.

Istanbul United scheint streng journalistisch gedacht: als Bebilderung der These von den verfeindeten Fans, die für ein Mal  gemeinsame Sache machen. Wenn Cahit Binici, der Fenerbahçe-Repräsentant, sagt, der Hass werde auch durch die Medien geschürt, dann lässt sich daraus wohl ableiten, dass auch die Versöhnungsbilder gezeigt und beschwört werden müssen. Allerdings ist der Entwurf von Istanbul United vielleicht auch wieder zu illustrativ, um Wirkung zu erzielen.

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