Kritik zu Im Strahl der Sonne

© Salzgeber

2016
Original-Titel: 
Im Strahl der Sonne
Filmstart in Deutschland: 
10.03.2016
L: 
90 Min
FSK: 
6

Eine Drehgenehmigung in Nordkorea, das heißt totale Kontrolle durch das Regime. Vitaly Mansky macht genau das zum Thema seines Dokumentarfilms

Bewertung: 4
Leserbewertung
4.5
4.5 (Stimmen: 2)

Gigantische Statuen der »geliebten Führer« wachen über das »glücklichste Land der Welt«. Nordkorea ist so etwas wie ein aus der Zeit gefallener stalinistischer Alptraum. Seine Bürger haben so gut wie keine Informationen über den Rest der Welt, Tag und Nacht werden sie mit Parolen beschallt, und auch Besuchern wird von den allgegenwärtigen Aufpassern empfohlen, keine Zeitung zu falten – denn darin könnte ja ein Bild der großen Kims geknickt werden.

Dass das Regime dem russisch-ukrainischen Regisseur Vitaly Mansky (»Wild Wild Beach«, »Pipeline«) eine Drehgenehmigung für einen »Dokumentarfilm« erteilte, geschah wohl nur in der etwas naiven Annahme, ihn für die eigene Propaganda einspannen zu können. Er durfte also über den Zeitraum eines Jahres die achtjährige Zin-mi immer wieder in ihrem »Alltag« begleiten, mit der Familie, in der Schule und bei Festlichkeiten zur Aufnahme in die »Union der Jungpioniere«. Selbstverständlich aber befanden sich Filmteam wie Mitwirkende auf Schritt und Tritt unter Beobachtung, das Material wurde peinlich kontrolliert, doch nicht nur das: Jede Szene hatte einem genau festgelegten Drehbuch zu folgen. Jedes Wort, jedes Lächeln wurde den Protagonisten befohlen.

Mansky hat aus der Not eine Tugend macht. Da er keinen Dokumentarfilm im Sinne authentischer Beobachtung drehen konnte, wurden die Inszenierungsstrategien der Offiziellen zum eigentlichen Thema seines Films. Die Aufpasser sind da zu sehen, wie sie hinter Türen oder Vorhängen hervorkommen und Regieanweisungen geben. »Verpatzte« Szenen sowie heimlich gemachte Aufnahmen aus dem Fenster des Hotelzimmers wurden vom Team aus dem Land geschmuggelt, ein Kommentar schildert knapp und nüchtern die Umstände des Drehs. »Im Strahl der Sonne« ist daher nicht nur ein Blick in ein abgeschottetes, bizarres Land, sondern zugleich ein Lehrstück über die Strategien von Propaganda- und Dokumentarfilm.

So gerät man beim Betrachten in eine spannende – und bedrückende – Doppelsicht zwischen den Inszenierungen rund um die Musterexistenz des kleinen Mädchens und der möglichen Wirklichkeit dahinter. Man sieht die großzügige Wohnung und weiß, dass die Familie sie nur für den Film bezogen hat. Man erfährt, dass die Eltern bei den Vorgesprächen zum Film noch ganz andere Berufe hatten und ihre angeblichen Arbeitsstätten – ganz zufällig die Vorzeigebetriebe des Staats – beim Dreh offenbar zum ersten Mal betraten. Man sieht üppig gedeckte Tische und bekommt später das Gegenbild in Form heimlicher Aufnahmen von Kindern auf der Straße, die am Rande eines bunten Massenaufmarschs in Mülleimern nach Essbarem suchen. Die Szenen aus dem offiziellen Drehbuch: Fälschungen von gespenstischer Durchsichtigkeit, so abstoßend wie faszinierend.

Trotz aller Abgründe birgt der Film aber auch komische, sehr menschliche Momente, etwa wenn ein über und über mit Orden behängter Kriegsveteran vor einer Schülergruppe seine weitschweifigen Heldengeschichten erzählt und die Kamera auf dem Gesicht eines Kindes ruht, das immer wieder einnickt. Es sind solche Bilder, die den Film über seine analytischen Qualitäten herausheben. Obwohl Mansky zum realen Leben in Nordkorea keinen Zugang hatte, sucht und findet seine einfühlsame Montage in den Lücken der totalitären Staatsästhetik immer wieder die Individuen, die das Regime zum Verschwinden bringen will. Folgerichtig gehört der unendlich traurige Schluss des Films seiner kleinen Protagonistin, in einem seltenen Moment, als kein Aufpasser sie inszeniert.

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