Kritik zu Hostage – Entführt

© Warner Bros.

Kompromissloser Thriller von Florent Siri mit Bruce Willis

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Er ist bärtig und hat lange Haare. Er sieht aus wie ein Hippie - oder wie ein Apostel. Irgendwie fühlt sich Bruce Willis in der Rolle des L.A. Supercops Jeff Talley, eines Spezialisten für komplizierte Geiselnahmen, als Gott. Als ein gnädiger, aber doch allmächtiger Gott, der das Schicksal zu bestimmen glaubt. "Heute stirbt niemand", verkündet er, als er einen bigotten, rasend eifersüchtigen Ehemann davon abhalten will, Frau und Kind zu töten. Talleys Versuch, alle zu retten, schrägt katastrophal fehl. An den Händen des so virtuos agierenden Polizisten klebt das Blut eines Kindes.

Der heftige Prolog von Hostage, dem internationalen Debüt des Franzosen Florent Siri, der mit zwei französischen Actionfilmen (Ende der Geduld und Das tödliche Wespennest) unter Kennern bereits Aufsehen erregt hat, macht deutlich, dass dieser Film keine Gefangenen macht. Zudem deutet dieser gnadenlose Auftakt bereits alle Themenbereiche des Films an: kaputte Familienverhältnisse, verlorene und korrupte Väter und die Sehnsucht nach Erlösung.

Ein Jahr nach den Vorkommnissen des Prologs beginnt die eigentliche Handlung des Films. Aus Willis' Polizisten ist wenigstens äußerlich ein ganz anderer geworden, er ist rasiert und kahl geschoren, er wirkt beinahe wie ein Meister Proper. Als hätte er versucht, die Fehler und Sünden der Vergangenheit abzurasieren und wegzuwaschen. Er hat auch Los Angeles verlassen und verrichtet jetzt einen Job als Polizeichef in dem verschlafenen kalifornischen Städtchen Bristo Camino. Doch richtig zur Ruhe kommt Talley nicht. Seine Entwicklung und seine neue Arbeit haben ihm ernste Probleme mit seiner eigenen Familie eingebracht. Seine Frau und seine Tochter sehnen sich nach L.A. zurück.

Auch im so ruhigen Bristo Camino braut sich das Unheil zusammen, als könnte Talley dem Schicksal nicht entgehen. Durch Zufall kreuzen sich die Wege gefährdeter und gefährlicher Menschen. Drei junge Herumtreiber, allesamt so blass wie der Tod, dringen in die einsam in den Bergen gelegene Villa von Walter Smith ein, der dort als alleinerziehender Vater mit seiner Teenie-Tochter und seinem kleinen Jungen lebt. Die drei jungen Desperados, vor allem der enigmatische Junge namens Mars, handeln unberechenbar und ohne Gnade. Auf eine zufällig patroullierende Polizistin eröffnen sie, die schrecklichen, verlorenen Kindern gleichen, sofort das Feuer. Was die drei nervösen Einbrecher nicht wissen: dass der superreiche Walter Smith mit einem mächtigen Syndikat in Verbindung steht und in seiner mit perfekten Überwachungs- und Befestigungsapparaten ausgestatteten Villa, die wie eine High-Tech-Ritterburg wirkt, Geheimnisse auf Leben und Tod verbirgt. Diese Geheimnisse sind auf einer DVD von Lubitschs Heaven Can Wait eingebrannt.

Jeff Talley sieht sich bald in einer schier unlösbaren Situation, die so verschachtelt ist wie Smiths verwunschene Villa. Beinahe jeder ist eine Geisel in Siris Schwindel erregenden Thriller, der auf einem Roman von Robert Crais beruht. Nicht nur Smith und seine Kinder, sondern auch Talley selbst. Das ominöse Syndikat hat Talleys Familie gekidnappt, damit er wie ferngesteuert im Sinne der Unbekannten handelt und verhandelt. Die Vertreter des Syndikats treten übrigens als schwarz vermummte Gestalten auf, wie Phantome aus einem Feuillade-Serial.

Der bizarr in sich verschlungene Plot und die moralischen Verstrickungen bestimmen auch den Stil des Films. In ausgebleichten, grün-bräunlichen Farben etabliert Siri mit dem Kameramann Giovanni Fiore Coltelacci von der beeindruckenden Titelsequenz an eine morbide Modellwelt, eine Spielzeugwelt des Todes. Mit zunehmender Dauer wird der Film immer fantastischer, seine Logik gleicht mehr einem Albtraum. Dabei misslingt Siri auch einiges: die Bilder etwa von Talleys entführter Familie wirken beinahe unfreiwillig komisch und hysterisch. Bei allen Vorwürfen, die man Siri machen kann im Hinblick auf den überdrehten Plot und den Style-Overkill, muss man doch auch das Unterfangen bewundern, das er hier mit seinem Star Willis eingeht, wenn er gleichsam eine Anthologie des Pulp schreibt aus europäischen und amerikanischen Einflüssen, die von Louis Feuillades Stummfilmen über den Film noir bis zum Comic und Musikclip reichen. Wagemutig vermischt Siri, den man wohl zu den wilden Franzosen wie Kassowitz, Kounen und Gans rechnen kann, auch die Genres. Er kombiniert den Thriller mit Elementen des Ritter- und Märchenfilms. Eine Figur schließlich wie der junge Mars kommt direkt aus dem Horrorfilm. Er ist ein Dämon, ein düster-romantischer Apokalyptiker, der einen irrwitzigen Showdown entzündet.

Am Ende geht es dann um family values, auf beiden Seiten des Gesetzes. Doch es bleiben seltsame, religiös motivierte Bilder in Erinnerung, wenn etwa Smiths Tochter wie eine Punk-Madonna zwischen den obligatorischen Explosionen auftaucht. Es scheint, als seien alle Figuren dem Touch of Evil nahe gekommen. Orson Welles' Film dürfte übrigens Siris Film stark beeinflusst haben.

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