Kritik zu Herbst – Sonabahr

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Ein weiterer poetisch-politischer Autorenfilm aus der Türkei: Mit ganz ähnlichen Mitteln wie Semih Kaplanoglus diesjähriger Berlinalesieger »Honig – Bal« schildert Regiedebütant Özcan Alper in elegischen Bildern die letzten Wochen eines Sterbenden

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Ein friedliches Tableau: Im Zentrum ein junger Mann auf einer Holzbank, in Decken gehüllt, schlafend in der Sonne. Im Vordergrund seine Mutter, die Wäsche aufhängt, und ein Hund, der sich hingebungsvoll kratzt. Im Hintergrund das weite, sattgrüne Bergpanorama. Doch die Idylle trügt: Der Mann ist todkrank, was die Mutter nicht weiß. Und auch das Wetter wird bald wieder wechseln. Denn es ist Herbst, und die meiste Zeit regnet es hier in den Bergen.

Einen stillen, meditativen Debütfilm hat der 1975 geborene Regisseur Özcan Alper über den Herbst eines Lebens und den Herbst in der Natur gedreht. Einen in seiner Methode der Romantik verpflichteten Film, in dem der Lauf der Natur die Bewegungen der Seele spiegelt und die Trennlinie zwischen innen und außen verwischt. Immer wieder bricht die Vergangenheit in Form kurzer, lediglich angespielter Videoaufnahmen in die Gegenwart ein, Fetzen bewegter Erinnerung in einer Starre, die nur der Tod lösen kann.

Die Vergangenheit: Das ist Yusufs sozialistisches Engagement in den 90er Jahren, als der türkische Staat Regimekritiker aufs Schärfste verfolgte. Mit zehn furchtbaren Jahren Gefängnis hat er dafür bezahlt, entlassen wurde er nur wegen seiner schweren Erkrankung an Tuberkulose. Die Gegenwart, das ist die Rückkehr in sein Heimatdorf an der türkisch-georgischen Grenze. Ein Fremder ist er geworden, und er versucht gar nicht erst, den Menschen hier wieder näherzukommen. Niemandem erzählt er, wie es um ihn steht. Er geht nicht zum Arzt, raucht einfach weiter, hustet immer schlimmer und schweigt. Was wirklich in ihm vorgeht, lässt sich nur erahnen, das Gesicht von Hauptdarsteller Onur Saylak bleibt verschlossen und vieldeutig. Ist es nur stumme Verzweiflung oder bereitet er sich gefasst auf sein Ende vor?

Immer wieder dominiert die Natur in Alpers Bildern über die Menschen und ihr spärliches Tun. Die stetige Wiederkehr des Regens, des Nebels im Tal und des Schnees, der zum Vorboten des Winters wie des Todes wird, ist hochsymbolisch, doch wirkt das alles nie überfrachtet oder prätentiös. Statt im Sentiment zu schwelgen, setzt die Inszenierung auf Zurückhaltung. Auch die zaghafte Romanze mit der georgischen Prostituierten Eka bleibt in der Schwebe. Ist die Beziehung zwischen der fremd Gebliebenen und dem fremd Gewordenen per se zum Scheitern verurteilt oder liegt es an seiner Lebensmüdigkeit? Dem Ende dieser Hoffnung widmet Alper das einzige vehement pathetische – und berauschend schöne – Bild an einem sturmumtosten Pier.

In einem Film, dessen Ende von Anfang an so klar ist wie der Einzug des Winters nach dem Herbst, darf man natürlich keine überraschenden Wendungen erwarten. Was hier an der Oberfläche geschieht, mögen manche einfach langweilig finden. Doch wer sich den Bildern überlässt, den nimmt »Herbst« mit in eine berührende Reflexion um Übergänge und Grenzen: zwischen Menschen, zwischen Ländern, zwischen dem Politischen und dem Privaten, zwischen den Jahreszeiten und zwischen Leben und Tod

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