Kritik zu Good Bye, Lenin!

© X-Verleih/Warner Bros.

Für Frau Kerner ist die DDR noch lange nicht zu Ende

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Man kennt diese Bilder: Demonstranten, die Lichter halten, Politiker, die auf Balkonen stehen, Trabbis, die Grenzübergänge passieren, Menschen, die über die Mauer klettern. Szenen, die sich unwillkürlich ins Bewusstsein eingegraben haben und zum Allgemeingut kollektiven Erlebens gehören. Aber vielleicht ist den Bildern nicht zu trauen. Vielleicht war alles ganz anders. Auf dieser faszinierenden Prämisse beruht »Good Bye, Lenin!« von Wolfgang Becker, dessen letzter Film »Das Leben ist eine Baustelle« nun schon über fünf Jahre zurückliegt.

Es beginnt mit einem Prolog im August 1978, in einem Ostberliner Plattenbau. Der elfjährige Alex Kerner verfolgt im Fernsehen den Start von Sojus 31. Mit an Bord: Sigmund Jähn, Bürger der DDR. Alex' Mutter Christiane (Katrin Saß), eine überzeugte Sozialistin, erfährt derweil, dass ihr Mann bei einer Dienstreise im Westen geblieben ist. »1978 war die DDR auf Weltniveau, und unsere Familie ging den Bach runter«, so Alex im Off-Kommentar, der im Folgenden die Erzählung mehrmals vorantreiben wird, Ellipsen überbrückt oder mit seinem lakonischen Witz amüsiert.

Schnitt. Elf Jahre später. Es ist der Herbst 1989. Auf dem Weg zum Palast der Republik erleidet Christiane Kerner einen Herzinfarkt und fällt in ein tiefes Koma, aus dem sie erst acht Monate später erwachen soll. Den Fall der Mauer mit all seinen Konsequenzen verschläft sie im wahrsten Sinne des Wortes.

Schon einmal hatte im Kino ein Ossi Wende und Wiedervereinigung verpasst. Jörg Schüttauf hockte als Martin Schulz in »Berlin is in Germany« im Gefängnis und musste sich, später und geballter als andere, in einer veränderten Realität zurechtfinden. Für »Good Bye,Lenin!« haben Becker und sein Drehbuchautor Bernd Lichtenberg eine noch bestechendere Idee: Christiane Kerner wird die Realität einfach vorenthalten. Um ihr schwaches Herz zu schonen, verschweigt Alex (Daniel Brühl) nämlich seiner bettlägerigen Mutter kurzerhand die weltbewegenden Ereignisse der letzten Monate und lässt die DDR, zumindest im Kleinen, überleben. Das birgt natürlich einige Schwierigkeiten, angefangen bei der Beschaffung von Spreewald-Gurken bis zum Vorsingen alten Liedguts. »Good Bye, Lenin!« bezieht einen Großteil seiner Komik aus Alex' Bemühungen, die Scharade aufrecht zu erhalten. Da werden West-Produkte in Ost-Verpackungen umgefüllt, windige Erklärungen für übergroße Coca-Cola-Plakate gefunden, die vom Haus gegenüber herabhängen. Und zuweilen hat man den Eindruck, dass Alex die DDR auch ein klein wenig für sich erhält, um nicht erwachsen werden zu müssen.

Becker und Lichtenberg haben mit erstaunlicher Kenntnis und genauem Gespür für Details den DDR-Alltag wieder aufleben lassen. Vom Trabi bis zum Lebensmitteletikett – da »stimmt« trotz schmalen Budgets alles. Dabei gleiten die Szenen nie in Slapstick ab. Der Humor ist verhalten, fast schon unterspielt. Daniel Brühl versucht mit unbewegtem Gesicht, die Geister, die er rief, zu bändigen. Katrin Saß muss sich, fast den ganzen Film über im Bett liegend, auf kleine Gesten beschränken. Ihre Äußerungen und Wünsche wirken, bedingt durch die Unwissenheit ihrer Figur, immer deplatziert – und gerade darum so komisch. Spannung, sogar Suspense im Hitchcockschen Sinn, entsteht immer dann, wenn die Inszenierung aufzufliegen droht. Einmal fliegt ein Reklame-Zeppelin im Blickfeld der Mutter vorbei, bis er endlich unbemerkt hinter einem Hochhaus verschwindet.

Doch die Wirklichkeit lässt sich nicht länger ausschließen. Mutter Kerner pocht auf ihr Informationsrecht und will die »Aktuelle Kamera« gucken. Auch dafür findet Alex eine Lösung. Schließlich sind Bilder manipulierbar und somit offen für ein zweite, ganz andere Interpretation. Und mit einem Mal erscheint auch die Wiedervereinigung in einem neuen Licht.

Groß war das Lamento, dass deutsche Regisseure die Wiedervereinigung sträflich vernachlässigt hätten. Volker Schlöndorff sagte anlässlich von »Die Stille nach dem Schuss« im persönlichen Gespräch, dass zur künstlerischen Aufarbeitung der nötige zeitliche Abstand gehöre. Andernfalls sei der Blick verstellt. Becker und Lichtenberg haben nun den richtigen Zeitpunkt getroffen. Für ihre Geschichte haben sie die Form der Tragikomödie gewählt, die die Tragweite der Wiedervereingung, besonders für die Ostdeutschen, einbezieht, ohne die DDR nostalgisch zu verklären. Ihr Augenmerk gilt aber ebenso der privaten Ebene. »Good Bye, Lenin!« ist auch ein Film der großen Gefühle, voll origineller Ideen und einer Leichtfüßigkeit, die von vorn herein jede Wehleidigkeit ausschließt.

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