Kritik zu Göttliche Lage

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Das 2001 stillgelegte Stahlwerksgelände Phoenix-Ost in Dortmund-Hörde soll sich wandeln. Aus dem einstigen Schandfleck der Schwerindustrie soll eine Wellness­oase werden. Die Dokumentarfilmer Ulrike Franke und Michael Loeken haben verfolgt, wie solch ein Projekt geplant, vollzogen und angenommen wird

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Im September 2005 begannen im Dortmunder Stadtteil Hörde die Bauarbeiten für ein ehrgeiziges Projekt: Auf dem ehemaligen Gelände eines Stahlwerks von Thyssen Krupp sollte der Phoenix-See entstehen. Dort, wo vorher Männer aus einem Dutzend Nationen in höllischer Hitze für den Fortbestand der Ruhrgebietsindustrie sorgten, sollen perlweiße Segelboote kreuzen, wohlwollend betrachtet von einer zahlungskräftigen Klientel auf Wellnessbalkonen oder einer öffentlichen Aussichtsplattform, die sinnigerweise den polyglott-präsidialen Namen »Bellevue« trägt.  Doch die hochwertige Wohnbebauung an den Ufern des Sees ignoriert die gewachsenen Strukturen des Stadtteils. Hier lebt das Proletariat mit Migrationshintergrund. Die Institutionen, die im industriellen Zusammenhang nötig waren, Kiosk, Kneipe, Kirche, sind ihrer Funktion beraubt und dem Verfall anheimgegeben. Die neuen Bewohner weiden sich am nostalgischen Rückblick auf die »Thomasbirne«, in der zuvor der Stahl gekocht wurde, wenden sich aber angewidert ab, wenn sie die abblätternden Fassaden der Gründerzeitbauten sehen. Das ist Gentrifizierung, wie sie drastischer nicht ablaufen kann. Inzwischen ist der See fertig, die ersten Hausbesitzer haben ihre Boote zu Wasser gelassen, aber auf »Bellevue« findet man Joints und gebrauchte Kondome. So einfach ist es eben doch nicht, Vergangenheiten abzuschütteln.

In ihrer Langzeitdokumentation haben Ulrike Franke und Michael Loeken sich auf die Suche begeben, um herauszufinden, wie solch ein Projekt geplant, vollzogen und angenommen wird. Sie lassen die engagierte Projektplanerin ebenso zu Wort kommen wie die türkische Kioskbesitzerin, den Vorsitzenden des Heimatvereins und den Kontaktbereichsbeamten der Polizei. Sie zeigen Rentner, Kinder und Arbeiter und auch die neuen Bewohner, die wahrscheinlich wesentlich reicher sind, als sie sich geben, und aus der geplanten Einheitsarchitektur vielfach wieder etwas Individuelles machen wollen. Und sei es mit einer bajuwarischen Kücheneinrichtung.

Göttliche Lage ist dabei als Film denkbar zurückhaltend. Er taucht ein in die Jahre des Wandels und stellt sich dabei in den Dienst derer, die diesen Wandel betreiben oder unter ihm zu leiden haben. In der Montage allerdings findet sich die leise Ironie, die bei einer solchen Hybris nicht ausbleiben kann. »Was passiert mit den Schadstoffen?«, fragt ein Rentner. »Sind die weg?« – »Ich glaube schon«, sagt ein anderer, »und wenn nicht, wird es uns niemand sagen.« 160 Jahre Stahlhütte kann man nicht einfach wegbaggern. Ein finales Urteil fällt der Film nicht, er belässt es dabei, sich schmunzelnd zurückzuhalten, und überlässt das Urteil über den Wahnsinn dem Betrachter. Und selbst denen, die noch nie von Dortmund-Hörde gehört haben, wird klarwerden, dass Trabantenstädte keine Zukunft haben. Das wussten im Grunde schon die alten Römer.

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