Kritik zu Gnade

© Alamode

Szenen einer Ehe im Polarwinter: In Matthias Glasners neuem Film finden Birgit Minichmayr und Jürgen Vogel als entfremdetes Paar auf verschlungene Weise wieder zueinander

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Zwischen Niels und Maria läuft es nicht besonders. Um die Ehe zu kitten, wagt das Paar gemeinsam mit dem pubertierenden Sohn Markus einen Neuanfang in Norwegen am nördlichen Polarkreis. In einem schnuckeligen roten Holzhaus mit Blick auf den Fjord soll alles besser werden. Doch der idyllische Aussteigertraum mit Schafzucht kann ihre marode Beziehung nicht retten. Während sie Doppelschichten in einem Hospiz für todgeweihte Kinder schiebt, geht er heimlich fremd. Warum er noch immer nicht Norwegisch gelernt habe, fragt Maria ihren Gatten am Küchentisch. Lass das mal meine Sorge sein, gibt er einsilbig zurück und stochert lustlos in seinem Essen herum. Harmonie sieht  anders aus.

Diese Szenen einer Ehe bilden den Ausgangspunkt einer aufwendigen Produktion, die Matthias Glasner nach einem Buch des preisgekrönten dänischen Autors Kim Fupz Aakeson realisierte. Der Regisseur knüpft an seine kontrovers aufgenommenen Filme Der freie Wille und This Is Love an, in denen er von einem Vergewaltiger und der pädophilen Liebe eines Mannes zu einer achtjährigen Vietnamesin erzählte. Nicht minder ungewöhnlich erscheint auch jene Wendung, dank derer die entfremdeten Eheleute in Gnade wieder zueinanderfinden: Nach einem nächtlichen Autounfall begeht Maria Fahrerflucht. Tage später erfährt sie aus der Zeitung, dass durch ihre unterlassene Hilfeleistung ein Schulmädchen tödlich verletzt wurde. Statt zur Polizei zu gehen, vertraut sie sich nur ihrem Mann an. Merkwürdigerweise wächst gerade dadurch das Vertrauen zwischen Nils und Maria wieder.

Dieses überraschende Aufkommen von Nähe gibt Rätsel auf, die Glasner psychologisch auszuleuchten versucht. So erzählt Niels den Vorfall seiner heimlichen Geliebten, mit der er bislang nur animalischen Sex hatte. Sie frohlockt, weil er endlich etwas Persönliches preisgibt. Als er dann die Affäre beendet, um zu seiner Frau zurückzukehren, zieht sie sich diskret von der Bildfläche zurück. Die Motivation dieser Frauenfigur ist ebenso schwer nachvollziehbar wie der Wandel zwischen Niels und Maria: Wodurch wird eine Ehefrau, die sich schuldig machte, plötzlich wieder erotisch attraktiv? Die Frage ist nicht uninteressant, doch Glasners Versuch ihrer Beantwortung wird vielleicht nicht alle Zuschauer überzeugen.

Für das schlechte Gewissen, das die Eltern innerlich zu zerfressen droht, versucht Glasner Bilder zu finden. Und tatsächlich ist seine Visualität die Stärke des Films: Die Geschichte spielt während des eigenartigen Halbdunkels in den Wintermonaten, wenn es die Sonne am Nordkap nicht mehr über den Horizont schafft. Glasner und seinem Kameramann gelingen grandiose Bilder dieser diffus illuminierten, endlosen norwegische Eiswüste. Als Abbild der »vereisten« Beziehung zwischen Maria und Niels erscheint die Metapher der »Seelenlandschaft« auf den ersten Blick vielleicht etwas konventionell, auf längere Sicht aber gewinnt die Inszenierung den Meer- und Bergpanoramen immer wieder neue Akzente ab. Die Darsteller ziehen alle Register. Als gutmenschelnde Krankenschwester wirkt Birgit Minichmayr auf irritierende Art überzeugend, während man in Jürgen Vogels Figur seine charakteristische Leinwandpersona wiedererkennt.

Um eine geheimnisvolle Atmosphäre zu erzeugen, bricht Glasner die Perspektive. Der Sohn beobachtet seine Eltern durch die Linse seines iPhones und dreht aus den Wackelbildern ein Homevideo mit Horroranmutung. So gelingen beeindruckende Momente: Wenn der Sohn seinen Selbstmord oder zumindest einen Unfall fingiert, um mitzuschneiden, wie Vater und Mutter im Dreieck springen, dann geht das Thema des Films plötzlich unter die Haut.

Der Regisseur ist sehr um Authentizität bemüht, lässt seine Protagonisten über weite Strecken sogar deutsch untertiteltes Norwegisch und Englisch sprechen. Mit 130 Minuten ist das Drama eine Spur zu lang geraten. Ein gewisses Ungleichgewicht zwischen dem großen formalen Aufwand und der nicht durchweg überzeugenden Geschichte um Schuld und Sühne wird offenbar

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