Kritik zu Ghost Dog – Der Weg des Samurai

© Studiocanal

1999
Original-Titel: 
Ghost Dog: The Way of the Samurai
Filmstart in Deutschland: 
06.01.2000
M: 
L: 
116 Min
FSK: 
16

Totentanz in der Großstadt

Bewertung: 4
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Er lebt in einer Hütte auf dem Dach eines Hochhauses: wie auf einer Insel im Häusermeer der namenlosen Stadt. Er züchtet Tauben dort oben, wie einst Terry Malloy in Kazans »On the Waterfront«. Er ist ein Farbiger, ein großer, kräftiger Kerl. Aber wenn er mit seinem japanischen Schwert einen Tanz aufführt, wirkt er grazil und federleicht. Er hat eine unglaubliche körperliche Präsenz, aber kaum einer kennt ihn. Weil er das Alleinsein kultiviert hat bis zur Unsichtbarkeit. Er gleicht einem Phantom und nennt sich Ghost Dog: wie ein Indianer, wie ein Rapper, wie ein Krieger.

Ghost Dog, verkörpert vom wunderbaren Forest Whitaker, arbeitet als Killer und lebt nach dem strengen Kodex der Samurai. Einer der berühmtesten Killerfilme heißt im Original »Le Samourai«. Wie Melvilles Klassiker ist auch Jim Jarmuschs erstaunliches neues Werk - so paradox es klingt - ein Film über das Töten und die Liebe zum Leben.

Des Nachts begibt sich Ghost Dog auf die Straßen. In gestohlenen Limousinen gleitet er durch trostlose Häuserschluchten. Mit einer eleganten Bewegung, die an das Ziehen eines Revolvers oder eines Schwertes erinnert, schiebt er seine CDs in die Player der Autos. Dann erklingt die grandiose Hiphop-Musik von "RZA", und man glaubt den Herzschlag von Ghost Dog zu spüren, den Rhythmus auch von anderen Zeiten. Wie in vielen Killerfilmen geht es auch bei Jarmusch um das Geheimnis und die Schönheit von Ritualen.

Ein Kontrakt führt Ghost Dog zu einer billigen Absteige. Er soll einen alternden Gangster killen, der etwas mit der Mafiaprinzessin Louise angefangen hat. Ghost Dog erfüllt den Auftrag vor den Augen der jungen Louise, die wie eine melancholische Betty Boop aussieht und dabei schon fast einen japanischen Zug an sich hat. Sie gibt Ghost Dog eine schöne Taschenbuchausgabe von Akutagawas "Rashomon" mit auf den Weg.

Das Lesen von Büchern und das Rezitieren von Texten spielen eine große Rolle in Jarmuschs Film. Immer wieder werden Textpassagen aus dem Buch "Hagakure", das Ghost Dog als Samurai-Leitfaden dient, über die Bilder gelegt. Der Klang der Wörter ist dabei so wichtig wie ihre Bedeutung.

Seine Aufträge erhält Ghost Dog von dem kleinen Mafioso Louie. Dieser Louie hat Ghost Dog einmal das Leben gerettet. Seither sieht er sich zu Louie in einem unverbrüchlichen Treueverhältnis stehen. "Das Dasein eines Samurai besteht, in einem Satz zusammengefasst, darin, mit Leib und Seele seinem Herren untertan zu sein." Ghost Dogs Herr ist ein alter loser. Es geht Jarmusch um Respekt in einer Welt sich auflösender Werte.

Als die Mafiafamilie um den Boss Vargo gegen die hilflosen Einwände von Louie beschließt, Ghost Dog aus dem Weg zu räumen, weil er Vargos Tochter Louise gesehen hat, kommt es zu einem erbitterten Krieg zwischen dem Einzelgänger und den brutalen, gealterten Italo-Gangstern, die schon viel bessere Zeiten gesehen haben. Vargo, gespielt vom legendären Gangsterdarsteller Henry Silva, ist bereits vom Tode gezeichnet, bevor Ghost Dog auf ihn anlegt: ein Zombie wie seine Gefolgsleute, die am liebsten Zeichentrickfilme im Fernsehen anschauen. "Wir sind wie zwei alte Volksstämme. Beide so gut wie ausgestorben. Um uns herum scheint sich alles zu verändern", sagt Ghost Dog zu Louie, den er natürlich verschont.

Jarmuschs Film gleicht einem Totentanz in einer konsumorientierten Welt. Elektronische Geräte verwendet Ghost Dog nur bei seinen Aufträgen, Autos klaut er. Will er mit jemanden wirklich Kontakt aufnehmen, sendet er eine Brieftaube.

Der zum Untergang verdammte Ghost Dog, der die Einzigartigkeit der Geschöpfe liebt, ist nicht allein wie der Tiger im Dschungel. Er ist kein Nihilist wie der Killer in Irving Lerners »Murder by Contract«, sondern eher ein Märtyrer als ein Täter. Seine beiläufigen Freunde sind Outsider: ein kleines Mädchen namens Pearline, die "The Wind in the Willows" und natürlich "Frankenstein" liest, sowie ein Einwanderer namens Raymond, der nur Französisch spricht. Gerade weil Raymond und Ghost Dog nicht direkt miteinander kommunizieren können, verstehen sie sich.

Jarmusch mischt tiefschwarzen Humor mit Groteske und echter Bitternis. In einer grimmigen Szene erschießt ein alter, sterbender Gangster eine nervige Polizistin. Er habe eine Frau erschossen, moniert sein empörter Partner. Der Sterbende erwidert: "Du Chauvinist. Ich habe keine Frau erschossen, sondern einen Cop. Wenn sie Gleichstellung wollen, sollen sie sie haben." Am Ende freilich bleiben zwei Girls übrig: die Mafiatochter Louise und die kleine Pearline, die jetzt Ghost Dogs Samurai-Buch liest. Louise stellt den Fernseher ab mit den aggressiven Cartoons. Wenn er auch manchmal ein wenig zu reflexiv erscheint, so ist »Ghost Dog« doch wie ein guter Rap: die Wiederentdeckung einer kraftvollen Poesie.

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