Kritik zu The Exploding Girl

© absolut Medien

2009
Original-Titel: 
The Exploding Girl
Filmstart in Deutschland: 
06.05.2010
L: 
80 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Die Kunst des Ungefähren: Der in Ohio geborene Bradley Rust Gray hat das Filmhandwerk in Los Angeles, London und Reykjavik erlernt, seine Vorbilder aber lassen sich am ehesten in den unspektakulären Alltagsdramen des asiatischen Kinos verorten

Bewertung: 4
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Wenn man die Handlung eines Films als »übersichtlich« beschrieben findet, weiß man ja meist, dass man das als höfliche Beschönigung für Langeweile zu begreifen hat. Was in »The Exploding Girl« geschieht, lässt sich in drei Sätzen annähernd beschreiben, jedoch steht hier die Übersichtlichkeit der Handlung für das glatte Gegenteil von Langeweile: Sie ist ein Mittel, ein Verfahren, um andere Dinge in den Vordergrund treten zu lassen. Welches Leben hält sich schon an Plot- Points? Und sind die prägendsten Erlebnisse eines Sommers nicht oft Nichtereignisse wie eben ein abgewiesener Handy-Anruf?

Ivy (Zoe Kazan) und Al (Mark Rendall) kennen sich seit Schultagen. Das Studium hat sie an verschiedene Colleges verschlagen, nun treffen sie in den Ferien an ihrem Heimatort aufeinander und verbringen viel Zeit zusammen. Ivy hat einen Freund, Gregg, der seinerseits zu seinen Eltern gefahren ist und mit dem sie per Handy Kontakt zu halten versucht. Oft erreicht sie ihn nicht, oder er ruft zur Unzeit zurück. Schließlich teilt er ihr mit, dass er Schluss machen möchte. Al ahnt davon nichts und unternimmt gerade im falschen Moment einen zögerlichen Versuch, Ivy zu gestehen, dass er durchaus mehr als freundschaftliche Gefühle für sie empfindet.

Einen Plot kann man diese kleine Geschichte der verfehlten Gefühle zwischen drei jungen Studenten kaum nennen, zumal alles in »The Exploding Girl« in völliger Beiläufigkeit passiert. Das heißt nicht, dass darüber hinweggegangen wird, vielmehr schafft Regisseur Bradley Rust Gray mit seiner lakonischen Inszenierung Raum für den sonst oft ausgeblendeten Kosmos der Unbestimmtheit und Unsicherheit, in dem sich der Großteil des Lebens abspielt. Von dieser Sphäre des alltäglich Ungefähren sind schon die Dialoge geprägt, die meist aus halbfertigen Sätzen gebaut sind. »Entschuldigung, dass ich nicht zurückgerufen habe«, bildet darunter schon eine raffinierte rhetorische Figur, so universell wie vieldeutig, in der sich die eigentlichen Gefühle und Motivationen perfekt verkleiden lassen. Was Gray gelingt, ist, die Empfindlichkeiten hinter dieser Coolness sichtbar zu machen, die Angst, verletzt zu werden genauso wie die Angst zu verletzen.

Keine 80 Minuten dauert der Film und doch hat man hinterher das Gefühl, die drei Hauptpersonen wirklich kennengelernt zu haben. Den Vermeider Gregg, der nur als Telefonstimme auftaucht. Den treuen Freund Al, der selbst noch zu sehr auf der Suche zu sein scheint, als dass man auf seine Gefühle bauen könnte. Besonders aber Ivy, deren Lebensparole »Kein Drama!« zu sein scheint. Ivy ist Epileptikerin, an sich keine große Sache, doch für sie verbunden mit einer ständigen Reibung an gewissen Regeln der Lebensführung. Es ist eine stille, einsame Auseinandersetzung, die Ivy auf unsichtbare Weise von ihrer Umgebung isoliert. Zoe Kazan gibt dieser Figur eine flüchtige und doch anrührende Verlorenheit. Sie bewegt sich tagelang unter Menschen, und kommuniziert doch nur am Handy. »Wir sehen uns später«, sagt die Mutter, »Wir reden morgen«, sagt Al, »Ich ruf dich zurück«, sagt Gregg. Erst mit der Zeit erschließt sich, dass im Titel weniger auf Ivys Krankheit als vielmehr auf ihr Dilemma angespielt wird: Wie lässt man Gefühle raus, ohne von ihnen überwältigt zu werden?

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