Kritik zu Evolution

© Port au Prince

In der Form eines Triptychons erzählen der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó und die Drehbuchautorin Kata Wéber vom Trauma des Holocaust und vom Fortwirken des Antisemitismus

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Drei Episoden zum Thema Schoah, drei Geschichten aus dem Leben einer jüdischen Familie, drei Momentaufnahmen über das Jüdischsein von 1945 bis heute. Der Film von Kornél Mundruczó spannt einen weiten Bogen: Die kleine Eva wird nach der Befreiung eines Vernichtungslagers in ihrem Versteck unter dem Boden einer Gaskammer gefunden, im zweiten Akt muss die mittlerweile betagte Eva (Lilli Monori) sich mit Tochter Léna (Annámaria Láng) auseinandersetzen, und die letzte Geschichte folgt Lénas Sohn Jonas, der im Berlin von heute antisemitischen Anwürfen und Teilnahmslosigkeit ausgesetzt ist. 

»Evolution« beginnt eindrücklich. Männer betreten einen sichtlich als Gaskammer ausgewiesenen Raum, mit den Schächten für den Einwurf des Giftgases und den vorgeblichen Brauseköpfen an der Decke. Aus Flaschen schütten sie Flüssigkeit an die Wände und auf den Boden, wischen sie auf, gefilmt von Kameramann Yorick Le Saux ohne sichtbare Schnitte und von Mundruczó inszeniert wie ein Ballett. Sie entdecken Haarbüschel an den Wänden und im Boden und fördern immer längere Haarstränge zutage, bis sie unter einem Gully ein verstörtes Baby entdecken und es nach draußen bringen, zu den Soldaten der Roten Armee, die das Lager befreit haben und die Toten auf Wagen laden. Der Blick weitet sich, und wir sehen die endlosen Barackenreihen des Lagers, wahrscheinlich Auschwitz. 

Wer sind diese Männer in diesem viertelstündigen Prolog? Es sind keine Häftlinge, auch keine Soldaten. Was machen sie in diesem Raum? Und die meterlangen Haare wie aus einem Horrorfilm? Am Ende bleibt nach dieser Vagheit ein ungutes Gefühl. Wahrscheinlich sollte dieser Prolog so etwas wie eine Allegorie sein, ein absurdes Ballett des Todes, doch hat er auch den Beigeschmack einer leeren Virtuosität. Dieses Gefühl verstärkt sich in den nächsten Episoden. Der zweiten merkt man die Herkunft des Films von einem Theaterstück am stärksten an. Sie ist aber trotzdem die intensivste des ganzen Films, quasi ein Streitgespräch über Assimilation zwischen Mutter und Tochter. Auch diese Episode ist wie in einem Take aufgenommen. Léna will die jüdische Geburtsurkunde der Mutter, damit sie ihren Sohn an einer jüdischen Schule anmelden kann. Die Mutter hat mehrere gefälschte Urkunden, sie wollte im antisemitischen Klima der Sowjetzeit nicht als Jüdin auffallen. Léna sagt einmal, sie wolle keine Holocaustüberlebende sein, sondern nur leben. Láng und Minori agieren eindrucksvoll, lassen spüren, dass Traumata und Antisemitismus das Leben der Familie bestimmt haben müssen. Wieso die klar berichtende Eva mitunter als dement vorgeführt wird, erschließt sich nicht. Eher ungelenk und klischeebeladen ist der dritte Akt in Szene gesetzt; da hätte man sich eine Vertiefung des antisemitischen Vorfalls gewünscht, stattdessen ergeht sich Mundruczó in der Vagheit des Die-Liebe-überwindet-alle Grenzen, wenn er sich auf die Beziehung zwischen Jonas und der jungen Türkin Yasmin konzentriert. Und so hat man das Gefühl, dass bei diesem Film die Ambitionen höher waren als ihre Umsetzung.  

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