Kritik zu Ein Junge namens Titli

© Rapid Eye Movies

2014
Original-Titel: 
Titli
Filmstart in Deutschland: 
28.05.2015
M: 
L: 
124 Min
FSK: 
16

Weit abseits der farbenfrohen Fantasien Bollywoods erzählt der indische Regisseur Kanu Behl die düstere Geschichte eines jungen Mannes, der den Slums von Delhi und seiner Familie entkommen will

Bewertung: 2
Leserbewertung
2
2 (Stimmen: 1)

Seine Welt besteht aus staubigen Straßen zwischen Betonwüsten und Brachflächen, aus heruntergekommenen Behausungen und alltäglicher Gewalt. Titli – zu Deutsch: Schmetterling – lebt mit seiner Familie in den Slums von Delhi, und obwohl er eigentlich viel zu sanft für diese Art von Familienbetrieb wirkt, fügt er sich dem Druck seiner Brüder und seines Vaters und unterstützt sie bei ihren brutalen Raubzügen in der Umgebung. Das Gesetz des Stärkeren regiert. Wer von der Polizei gefasst wird, kassiert Prügel und kauft sich dann frei. Die Worte »Bitte nicht schlagen!«, ausgestoßen bei Überfällen, auf der Polizeiwache und im Familienalltag, ziehen sich wie ein Leitmotiv durch den ersten Spielfilm des jungen Inders Kanu Behl.

Behl hat bislang vor allem Dokumentarfilme gedreht. Hier zeichnet er mit Handkamera und in matten Farben ein realistisch anmutendes Bild vom Leben in den Slums. Überraschend an Titli ist die Kooperation seiner beiden Produzenten: Dibakar Banerjee hat in Indien einen Namen als Independent-Filmemacher, von Aditya Chopra stammen einige der großen, bunten, optimistischen Bollywood-Spektakel der vergangenen Jahre.

Meist verhalten im Ton, mit punktuellen Ausbrüchen roher Gewalt und manch anderen Noir-Elementen erzählt Titli vom Versuch seiner Titelfigur, aus dem materiellen wie moralischen Elend auszubrechen. Titli spart Geld, um sich in das Bauprojekt eines Parkhauses mit Shoppingmall einzukaufen, und versucht sich Schritt für Schritt der Familie zu entziehen. Doch besonders der älteste Bruder Vikram sorgt mit harter Hand für Disziplin. Titli wird zwangsverheiratet, und spätestens im Verhalten gegenüber seiner Frau Neelu zeigt sich, wie sehr er selbst von der Härte seines Umfelds infiziert ist. Zwar werden die beiden im Lauf der Geschichte zu Verbündeten, doch ob Titli zum »Schmetterling« werden kann oder immer weiter verroht, bleibt fraglich.

Trotz allen Bemühens um glaubwürdige Entwicklungen geraten die Charakterzeichnungen leider eher grob, oft auch karikaturhaft, etwa wenn Titli eines Tages das gleiche Gerotze und Gespucke beim Zähneputzen annimmt, das er zuvor an Vikram so abstoßend fand. Als Held erzeugt Titli nicht genug Sympathie, um größeres Interesse an seinem Schicksal zu wecken. Als ambivalente Gestalt wiederum gewinnt er zu wenig Tiefe, um die Geschichte über zwei Stunden zu tragen. So strahlen Hauptfigur wie Film über weite Strecken eine Stimmung lähmender Trostlosigkeit aus – nur momenthaft durch traumhafte Sequenzen gebrochen, in denen Zeitlupe und suggestiver Sound dem rauen Naturalismus eine schwebende Stilisierung entgegenstellen.

Spannend ist Ein Junge namens Titli vor allem dann, wenn er die Zerstörungskraft der patriarchalen Strukturen adressiert und den Niedergang einer Gesellschaft beschwört, die jene unterdrückt, welche ihre einzige Hoffnung darstellen könnten: etwa Neelu, die stärkste und aufrichtigste Figur in einem Umfeld moralischer Korruption. Sie wäre die wesentlich interessantere Hauptfigur.

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