Kritik zu Djeca – Kinder von Sarajevo

© Barnsteiner Film

In ihrem zweiten Spielfilm – nach Snow – zeichnet Aida Begic ein desillusioniertes Bild vom Leben und den Nachwirkungen des Krieges in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo

Bewertung: 4
Leserbewertung
2.666665
2.7 (Stimmen: 3)
Bald 20 Jahre sind vergangen seit dem Bosnienkrieg und der fast vierjährigen verheerenden Belagerung Sarajevos. Sieht man Aida Begis Porträt einer jungen Frau und ihres Kampfes um ein menschenwürdiges Leben in der heutigen Stadt, könnte man vermuten, diese Vergangenheit liege nur einige Monate zurück. Die äußerlichen Zerstörungen sind in Djeca kaum noch sichtbar, doch die Verwerfungen der Gesellschaft zeigen sich umso deutlicher, das tiefsitzende Trauma von Angst, Hunger und allgegenwärtigem Tod ist in jeder Szene spürbar. Djeca ist ein Nachkriegsfilm.
 
Nie lässt die Kamera die Hauptfigur Rahima aus den Augen, stets folgt sie ihr in gespannter Aufmerksamkeit, oft schaut sie ihr über die Schulter. Dabei wird immer wieder ihr Kopftuch zentral ins Bild gesetzt, denn Rahima ist zum muslimischen Glauben konvertiert, und das Kopftuch wird hier – entgegen der landläufigen Konnotation – zum Zeichen ihres Selbstbewusstseins. Zugleich aber markiert es ihre Ausgrenzung. Denn als Muslima ist sie im ehemals für seine Toleranz berühmten Sarajevo heute eine Außenseiterin. Darunter hat auch ihr 14-jähriger Bruder Nedim zu leiden, den sie mitversorgt, um ihn vorm Waisenhaus zu bewahren – beide Eltern sind im Krieg gestorben. Das Geld ist knapp, Rahimas Arbeit in der Küche eines Restaurants hält die beiden nur knapp über Wasser. Zudem scheint Nedim auf Abwege zu geraten: Bei einer Prügelei zerstört er das iPhone eines Mitschülers, dessen Vater, ein einflussreicher Politiker, unnachgiebig auf Ersatz besteht. Dann findet Rahima auch noch heraus, dass Nedim die Schule schwänzt, und in einem Versteck findet sie eine Waffe.
 
Begic entfaltet diese Geschichte in Szenen von scheinbar beiläufiger Alltäglichkeit, in blassen Farben und langen Einstellungen. Die Stagnation einer Gesellschaft, die den Krieg hinter sich gelassen, doch noch keinen Weg in eine bessere Zukunft gefunden hat, spiegelt sie in Fernsehbildern ebenso wie in Begegnungen Rahimas oder dem Politiker, der ihr wie selbstverständlich vorschlägt, das iPhone könne sie mit Sex bezahlen. Unvermittelt brechen Erinnerungen an das vergangene Grauen in die Gegenwart ein: Archivaufnahmen aus der Zeit der Belagerung, nicht die bekannten Nachrichtenbilder, sondern Szenen aus dem Alltag: Menschen, die rennend Straßen überqueren, um den Scharfschützen zu entgehen, eine Blutlache in einem verlassenen Bus – Bilder, die direkt aus Rahimas Gedächtnis stammen könnten. Die bedrückende Tristesse des Films ist jedoch nur die eine Seite: Die andere deutet sich in der anklingenden 6. Symphonie Beethovens an und leuchtet  immer stärker im Charakter Rahimas auf, in ihrer Beharrlichkeit, ihrer Unbeugsamkeit in der Konfrontation mit ungleich stärkeren Gegnern. Sie wird weiter für sich und ihren Bruder kämpfen, das macht Marija Pikics Spiel unmissverständlich klar. Ebenso wie die Illusionslosigkeit ist in diesem stillen, klugen Film die Hoffnung kein Kitsch und keine These, sie ist einfach da.

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