Kritik zu District 9

© Sony Pictures

Neill Blomkamps Spielfilmdebüt war in den USA der Überraschungserfolg dieses Kinosommers. Ein Hype? Keineswegs. Der Science-Fiction-Film liefert ein paar sehr bösartige Bilder und Überlegungen zur Frage, wie human wir noch sind

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Die Aliens sollten »total abstoßend« sein, hat ein Effektspezialist des »District 9«-Teams gesagt. Scherenhände, Panzerplatten, pulsierende Weichteile von unklarer Funktion und über allem ein öliger Glanz… Kompromissloses Design, in der Tat, irgendwo zwischen dem Predator und den Insektenheeren aus »Starship Troopers«. Normalerweise würden diese Typen bei ihrer Ankunft auf der Erde ein paar Kulturdenkmäler in Schutt legen und einen Krieg auslösen. Aber so läuft es nicht im verblüffend sicher inszenierten Kinodebüt des Südafrikaners Neill Blomkamp.

Bereits die Exposition, eine bösartige, hochironische Collage aus fingiertem Dokumentarmaterial, stellt das Prinzip aus – »District 9« verbindet die Allegorese der klassischen fantastischen Erzählung mit den unedlen Tricks des modernen Effektkinos. Wenn sich die Luke zu dem gigantischen Raumschiff öffnet, das über der Stadt Johannesburg gestrandet ist, fällt der Blick auf eine sich windende Menge entkräfteter, gequälter Körper. Die Fremden repräsentieren in »District 9« die huddled masses, die das junge Amerika einmal mit offenen Armen empfangen wollte, denen die industrialisierte Gesellschaft aber, wie sich heute erst recht zeigt, nie eine Heimat gegeben hat: Wir sehen Flüchtlinge, Migranten, displaced persons. Und der abstoßende »Look« dieser Leute ist nichts anderes als der Reflex des Vorurteils: Die Aliens, die erst als »non-humans« bezeichnet werden und irgendwann nur noch »prawns« heißen, Garnelen, sind genau so unmenschlich, wie der Rassist sie haben will.

Zwanzig Jahre nach dem ersten Kontakt, das Schiff wirft immer noch seinen Schatten über Straßen, Plätze und Brachen, hat sich mitten in der Stadt ein Millionenslum gebildet, ein Getto. Als die Aliens von einer privaten Miliz in ein Lager zwangsumgesiedelt werden, gerät ein Angehöriger des weißen Establishments zwischen die Fronten und erfährt am eigenen Leib, was es heißt, stigmatisiert, verfolgt und geschunden zu werden.

»District 9« hat dem Kinosommer in den USA eine sehr eigenwillige Note hinzugefügt. Es ist nicht gerade ein Außenseiterprojekt – produziert hat Peter Jackson –, aber bei einem Budget, mit dem andere ihre Werbekampagne finanzieren, doch eher ein B-Picture. Und die Inszenierung nimmt sich alle Freiheiten, die mit diesem Label verbunden sind. Die etwas flachen, malerischen Visuals eines Computerspiels bilden eine vollkommen depravierte Welt ab: Dreck, Müll und Trümmer, marodierende Banden, ausgehungerte Geschöpfe, die sich um Tierkadaver prügeln und immer wieder Bilder verbogener, missbrauchter, verbrauchter Körper – als ob man die Schlachthausstudien von Chaim Soutine mit Romeros Zombieserie und den Folterfotos von Abu Ghraib verlinkt hätte. Dass irgendwann ein bisschen »Star Trek«-Humanismus – »Aliens love their children, too« – ins wilde Spiel kommt, mag hilflos wirken, belegt aber, dass es dem Film gar nicht so sehr darum geht, etwas kaputtzumachen – Formeln, Mythen, Ideologeme –, sondern dass er lieber an einer besseren Welt arbeiten würde. Und das macht ihn zu einem echten Genreklassiker.

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