Kritik zu The Dinner

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In Oren Movermans raffiniert verschachtelter Adaption von Herman Kochs Erfolgsroman verhandeln zwei Elternpaare große moralische Fragen um konkurrierende Brüder, missratene Söhne und scheiternde Ehen. Einfache Antworten darf man da nicht erwarten

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Alles scheint auf ein kammerspielartiges »Gemetzel« hinauszulaufen in »The Dinner« – auf ritualisierte familiäre Zwistigkeiten, angeheizt wegen eines schwerwiegenden aktuellen Problems, ausgetragen auf engstem Raum und in begrenzter Zeit. Zwei ewig zerstrittene Brüder stehen im Mittelpunkt: Paul (Steve Coogan), Historiker, Zyniker, Misanthrop, der die Öffentlichkeit scheut und den lästigen Termin im schicken Gastrotempel am liebsten sausen ließe; und der ältere Stan (Richard Gere), Politiker, Gentleman, Prinzipienmensch, der im Wahlkampfstress ist und trotzdem darauf besteht, endlich Tacheles zu reden. Begleitet werden sie von ihren Frauen: der freundlichen, auf Ausgleich bedachten Claire (Laura Linney) und der dauergenervten Katelyn (Rebecca Hall). Ein illustres (exzellent gespieltes) Quartett also, das erst einmal gute Miene zum bösen Spiel macht, früher oder später aber ganz bestimmt die Contenance verlieren und die gutbürgerliche Fassade fallen lassen wird.

Aber Vorsicht: Oren Movermans grimmige Adaption von Herman Kochs Bestseller »Angerichtet« führt uns auf unsicheres Terrain. Die abendliche Pflichtveranstaltung – aus dem Niederländischen in die USA übertragen und bereits zum dritten Mal verfilmt – läuft zwar nach einem festen, an der Menüfolge des Edelrestaurants angelehnten Schema ab, vom Aperitif über mehrere überaus ansehnliche Gänge bis zum Dessert; von einer klassischen, irgendwie vertrauten Struktur kann trotzdem keine Rede sein. Ähnlich wie der Roman öffnet sich der Film in gleich mehrere Richtungen: Das Dinner selbst zerfällt in nervöse Etappen, als wolle jeder der Beteiligten einen konstruktiven Dialog um jeden Preis verhindern. Flashbacks in verschiedene Zeitebenen verwirren zunächst, anstatt der Story Klarheit oder den Figuren Konturen zu verleihen: Paul, am Anfang noch Off-Erzähler und vermeintlicher Protagonist, tritt irgendwann in den Hintergrund und erweist sich als unzuverlässiger Kantonist; und im Lauf des Abends entwickelt sich jede der Figuren zum Gestaltwandler. So abgedroschen es auch klingen mag: Hier ist nichts und niemand, wie es scheint. Und ziemlich oft sieht man den Wald vor Bäumen nicht.

Moverman, ein strenger, kühler, auf abgründige Geschichten abonnierter Regisseur, wählt für »The Dinner« einen für seine Verhältnisse überraschend sinnlichen, expressiven Stil. In sattem, leuchtendem Rot erstrahlt der Hauptschauplatz des Films: eine verwinkelte Luxushölle, in der die feinen Leute große Reden schwingen, obwohl oder gerade weil sie den eigenen Maßstäben nicht gerecht werden. In fahles Blau sind dagegen jene Rückblenden getaucht, die nach und nach erklären, warum das konspirative Treffen überhaupt nötig wurde. Sie schildern die Ereignisse einer Nacht, in der die halbwüchsigen Söhne der beiden Familien eine scheußliche Tat verübten, ein Verbrechen, über dessen juristische und moralische Konsequenzen jetzt verhandelt werden muss.

Auf dieser Ebene ist »The Dinner« brandaktuell und hochpolitisch. Der Film fragt ganz dezidiert nach den Ursachen für die Verrohung der Gesellschaft und findet dafür ebenso plakative wie differenzierte Antworten – enthält sich am Ende aber klugerweise der Stimme. Zugleich muss man konstatieren, dass Moverman sich auch ein wenig verzettelt. Er schießt in so viele Richtungen, dass seine Geschichte am Ende ohne Zen­trum dazustehen droht. Viel zu großen Raum nimmt der amerikanische Bürgerkrieg ein, Pauls historisches Lieblingsthema, das natürlich die Zerrissenheit der beiden Brüder symbolisiert, die lange Rückblende zu einem Besuch in Gettysburg aber kaum rechtfertigt. Gleichzeitig wird einem regelrecht schwindelig vor lauter dramatisch zugespitzten Familienkonflikten: Mal dreht sich alles um die beiden ziemlich fragilen Ehen, mal um ein Vater-Sohn-Verhältnis, mal um die Sünden der Vergangenheit und um den Brüderkonflikt sowieso. Es ist ein explosives Gemisch, das uns jeden Moment um die Ohren zu fliegen droht.

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Kommentare

Ich mag Filme nicht die so ein unvollendetes Ende haben.

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