Kritik zu Die Thomaner

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2012
Original-Titel: 
Die Thomaner
Filmstart in Deutschland: 
16.02.2012
V: 
L: 
113 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Der Dokumentarfilm von Paul Smaczny und Günter Atteln zum 800. Geburtstag des berühmten Jungenchors ist ein Jubelfilm – eine kritische Berichterstattung darf man da nicht erwarten

Bewertung: 3
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Wäre nicht der legendäre musikalische Großmeister des deutschen Barock und der Musica Sacra, Johann Sebastian Bach, der von 1723 bis 1759 in Leipzig an der Thomaskirche als Kantor wirkte, würde es den 1212 auf Initiative des Markgrafen Dietrich von Meißen gegründeten Thomanerchor heute wahrscheinlich nicht mehr geben. So aber ist er zu einem Stück leibhaftigen Weltkulturerbes herangewachsen, das einer besonderen Pflege bedarf. Stürmische Zeitläufte sind über die einstige Klosterschule hinweggefegt, die seit Einführung der Reformation 1543 als städtische Einrichtung gilt, die – für ein Schulgeld – allerdings von Anfang an auch als öffentliches Gymnasium fungierte. Das Sakraleund das Profane befanden sich dort immer unter einem Dach, heute ohne Religionszwang, wie betont wird, doch die strenge Separation der Chorknaben, die von ihren Familien getrennt im Alumnat zu wohnen haben – offenbar eine Regel ohne Ausnahme – bringt schon genügend Zwänge mit sich. Damit ist dieser Gesangsverein der Auserwählten von vornherein mit dem Flair einer so gewollten Elite umgeben.

Das Filmteam hat die Truppe der heute 93 Thomaner (von 700 Schülern) ein Jahr lang begleitet und drei Altersstufen näher beleuchtet, beginnend mit dem neunjährigen Johannes, der, händchenhaltend, mit seiner Mutter zum Vorsingen antritt. Schon der erste Eindruck bestätigt, dass der zielstrebige und redegewandte Kleine vortrefflich in diese Knabenrunde paßt, die ihn bis zum Abitur als Ersatzfamilie begleiten soll. »Ein Thomaner fällt nicht vom Himmel«, unterstreicht der amtierende Thomaskantor Georg Christoph Biller nicht ohne Stolz und mit Anspielung auf die traditionelle Hausordnung des Alumnats und den Ganztagsunterricht, der anschließend an die Allgemeinbildung die Musikerziehung auf dem Programm hat und keine Freizeit vorsieht. Der Eindruck einer Art Kadettenanstalt stellt sich spätestens mit der adretten »Kieler Bluse« ein, die – bis zum Stimmbruch – zu feierlichen Anlässen getragen wird. Selbst Vergnügen wie Fußballspielen oder die Klassenfahrt ins »Chorlager«, sogar der Weihnachtsabend, sind ins Internatsleben integriert, das der »Gruppe« absoluten Vorrang vor der individuellen Entfaltung einräumt. Dass die Älteren für die Jüngeren Verantwortung tragen, also eine Art Selbstkontrolle ausüben, passt ins Bild. Die bis heute gebräuchlichen Schlafsäle und die »Stuben« für den Tagesgebrauch sollen nach dem derzeitigen Umbau und der Erweiterung des Gebäudes zu einem »Forum Thomanum« individualisiert werden. Reichlich spät eigentlich, über 20 Jahre nach dem Ende der DDR, die den kontrollierten Gemeinschaftsgeist der Einrichtung sicher schätzte, die sich im Dritten Reich auch gut mit der Hitlerjugend vertrug.

Missliebige historische Ausflüge oder Regelverstöße, die es sicher auch gibt, lässt der Jubiläumsfilm lieber unter den Tisch fallen. Auch die in Verruf geratene Internatserziehung wird hier mit der scherzhaften Bemerkung »Schwulis«, geäußert beim einmaligen Auftritt einer Freundin, abgetan. Ob wir nun wirklich viel mehr über »die Thomaner« erfahren haben, sei dahingestellt.

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