Kritik zu Die Höhle der vergessenen Träume

© Ascot Elite

Eigentlich mag er 3-D nicht, hat Werner Herzog gesagt. Und dann einen Dokumentarfilm damit gedreht: über 32 000 Jahre alte Malereien aus der dunkelsten Zeit der Menschheit

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Mehr als 30 000 Jahre hat die Menschheit gebraucht, um von der Höhlenmalerei zum Tafelbild zu kommen. Dann ging es ruckzuck: vom Tafelbild zum Tablet-PC – lumpige Jahrhunderte. Vielleicht lohnt es nicht, über so etwas nachzudenken, aber Fragen nach dem Woher und Wohin von Kunst und Kultur drängen sich auf, wenn man mit Werner Herzog in die Chauvet-Höhle im französischen Ardèche-Tal hinabsteigt.

Dem Regisseur ist es, als wäre hier »die Seele des modernen Menschen erwacht« – im Finstern, denn die Künstler des Paläolithikums haben nur dort gemalt, wo kein Tageslicht mehr hinreichte. Mehr als 8000 Quadratmeter umfasst das Höhlensystem, rund 470 Tier- und Symboldarstellungen sind im Laufe von mehreren Jahrtausenden darin entstanden – die ältesten, die bekannt sind. Für die Öffentlichkeit sind diese Bilder nicht zugänglich. Anders als die Höhle von Lascaux, die geschlossen werden musste, weil sich durch den Atem der Touristen Schimmel gebildet hatte, wurde Chauvet gleich nach der Entdeckung in den Neunzigern von der Wissenschaft in fürsorglichen Gewahrsam genommen. Herzog durfte die Höhle für mit einem Miniteam stundenweise betreten, gefilmt wurde mit einer handlichen semiprofessionellen Kamera in 3-D.

Über die Motive der Höhlenkünstler ist viel geforscht worden: kultisch, schamanisch, animistisch? Gab es religiöse Inszenierungen in den Höhlen, waren Drogen im Spiel? Man weiß das nicht mit Sicherheit, aber Herzog tut so, als könne er dem »mind in the cave« auf die Schliche kommen, wenn er die Kamera an den Höhlenwänden entlanggleiten lässt, über Stalaktiten, Kalkspat, nackten Stein und natürlich die Zeichnungen selbst. Die Höhlenmaler hatten bereits verschiedene Materialien und Techniken zur Verfügung. Und es scheint, als hätten sie genau gewusst, was sie taten. Unter den abgebildeten Höhlenbären, Pferden, Mammuts und Großkatzen findet sich etwa eine Figur, die in einem einzigen Schwung, mit einem acht Meter langen Strich gezeichnet ist; bei anderen deutet die Verdopplung der Umrisse Bewegung an wie heute im Comic; es finden sich intelligente Abstraktionen; und am berühmtesten Motiv, vier hintereinandergeschalteten Pferdeköpfen, sollte Chagall nichts auszusetzen haben. Fast immer haben die Höhlenkünstler die natürliche Form des Steines genutzt, um den Körpern Plastizität und Dynamik zu geben. Das in 3-D zu filmen, macht perfekten Sinn – es erschließt dem Zuschauer nicht nur einen unzugänglichen Raum, es macht nicht bloß die Atmosphäre spürbar, sondern es gibt den Zeichnungen eine physische Qualität, die kein Farbdruck erzielen würde.

Man könnte die Höhle der vergessenen Träume für eine dieser Kultur- und Geografie-Dokus halten, die schon in 3-D-Kinos liefen, als nirgends ein 3-D-Boom in Sicht war. Was den Film anders macht, ist die für Herzog charakteristische ethno-esoterische Hintergrundstrahlung – und dieser zerrende Drang nach Erkenntnis, nach einer Wahrheit, die sich nicht aus der Addition von »Dokumenten« ergibt. Die Archäologen, Paläontologen und Geologen, die vor die Kamera treten, dürfen sich auch mal verspekulieren; Herzog gibt das Seine dazu: Haben die Höhlenmenschen, fragt er, »wie Fred Astaire mit den Schatten getanzt?« Das Herzstück des Films ist eine lange Sequenz, die nichts als Tierbilder zeigt, dazu ein hypnotischer Chorgesang: die Sakralisierung des Kulturfilms? Tatsächlich ist, wenn man sich so in die Linienführung unserer Altvorderen versenkt, diese Vorstellung die verführerischste: Dass sie gemalt haben könnten nicht um irgendeines rituellen Zweckes willen, sondern – weil sie malen wollten. Sicher hatte der Homo sapiens keinen Kunstbegriff und schon gar keinen Schimmer von Kunstautonomie. Doch es liegt etwas sehr Gelöstes in der Art, wie die Tierkörper über die Wände gleiten oder sich aneinander schmiegen – eine Form von Freiheit, damals schon.

Am Ende erzählt Herzog eine kleine Geschichte von Albinoalligatoren, die in der Gegend leben sollen: Nachfahren von Tieren, die in einem mit der Restwärme eines AKWs gespeisten Treibhauses aufgezogen wurden, die mutierte Brut des Technikzeitalters mithin. So absurd dieser Einfall ist – es schließt sich damit der Kreis. Vielleicht, denkt man, hat die Menschheit ihre beste, kreativste und vitalste Zeit schon hinter sich. Aber was heißt das dann für den Tablet-PC?

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