Kritik zu Die Flügel der Menschen

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Ein Pferdedieb und sein kleines Dorf: In seinem fabelhaften neuen Film erzählt der Filmemacher Aktan Arym Kubat von einem Kirgisistan zwischen gestern und morgen

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In seinem neuen Film »Die Flügel der Menschen« gelingt dem kirgisischen Regisseur Aktan Arym Kubat ein schöner Balanceakt. Er zeichnet ein Porträt des Provinzlebens in seiner Heimat, ohne in Kitsch abzugleiten; er erzählt von verlorengehendem Identitätsbewusstsein, ohne reaktionär zu wirken; und er beschreibt gesellschaftliche Umbrüche, ohne sie mit leichter Hand zu verteufeln. Kubat inszeniert mit der Lakonie eines Realisten und mit der Poesie eines Menschen, der sich seiner Heimat zutiefst verbunden fühlt. Widersprüchlichkeiten sind ihm dabei ein natürlicher Bestandteil des Zusammenlebens.

Passend dazu spielt er die Hauptrolle selbst: einen Familienvater, der mit seiner taubstummen Ehefrau und seinem scheinbar ebenfalls stummen Sohn in einem winzigen Dorf lebt. Die anderen Einwohner nennen ihn seit vielen Jahren »Centaur«, wegen seiner unbändigen Liebe zu Pferden – jenen Tieren, die man in der Nomaden-Mythologie als »Flügel der Menschen« bezeichnet. Doch um solche Details weiß kaum noch jemand. Das einstige Nomadenvolk ist längst sesshaft geworden, Pferdestärke zeigt sich heute in Form von SUVs. Vollblüter hingegen sind Wertobjekte, für den Rennsport oder als Statussymbol. Kubat schildert diese Dinge unaufgeregt und ohne Groll, mit einer sanften Melancholie, als wisse er, dass Veränderungen nicht nur Verlust mit sich bringen.

Trotzdem gehört seine Sympathie natürlich Centaur, einem stillen Rebellen, der einst als Filmvorführer arbeitete und nun immer mehr an den Rand des sozialen Gefüges gerät. Nachts schleicht er in die Ställe und stiehlt die Pferde der Dorfbonzen, um auf ihrem Rücken die Freiheit seiner Vorfahren zu spüren. Und sei es nur für eine Nacht. Danach lässt er die Pferde frei. Natürlich kommt man ihm auf die Schliche. Aber Zorn schlägt ihm nur von einem Tunichtgut entgegen, der seinerseits verschrien ist – als Pferdedieb aus Gier. Im hintergründig-fabelartigen Gefüge des Films ist das die denkbar schurkigste Kombination.

Centaurs Traditionssehnsucht verzahnt sich indes mit seiner aufkeimenden Liebe zu einer jungen Straßenhändlerin, mit der Sorge um seinen sprachlosen kleinen Sohn und mit der Traurigkeit seiner sich betrogen fühlenden Ehefrau. Er ist kein Held, sein eigensinniges Festhalten an Mythen und Geschichten (des Kinos und der Kirgisen) macht ihn einsam. Es geht in Kubats Film aber auch um den Widerstreit von religiösem Eifer und Weltlichkeit. Imame streiten mit areligiösen Dörflern, und wir sehen ein Kino, das zu einer Moschee umgestaltet wurde – wo in einer der schönsten Szenen der Zauber des Kinos die strengen Rituale des Glaubens aus dem Takt bringt. Anders gesagt ist Centaurs Geschichte nicht zuletzt der Rahmen für das feine Porträt eines Dorfes – als Mikrokosmos, in dem es gegenläufige Interessen gibt, sich aber niemand wirklich in »Gut« und »Böse« aufteilen lässt. Mit einer Art magischem Realismus setzt Kubat dieses kleine Stück seiner Heimat in Szene. Und lässt uns spüren, dass dort die Magie zusehends dem Realismus weichen muss.

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