Kritik zu Der Mann ohne Vergangenheit

Trailer OmeU © Verleih

Aki Kaurismäki erzählt von einer Liebe auf dem Schrottplatz

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Vom Pessimismus seiner frühen Filme, der »proletarischen Trilogie« zumal, hat Aki Kaurismäki sich in den letzten Jahren entfernt. Was nicht heißt, dass sein neuer Film vor Fröhlichkeit aus den Nähten platzt. Dafür ist der in Cannes ausgezeichnete Finne zu sehr Realist geblieben.

Unterwegs waren sie schon immer. Die Müllmänner, Kassiererinnen und Fließbandarbeiter von Kaurismäki. Meistens mit ungenauem Ziel und im schleppendem Tempo eines finnischen Tangos. So hocken seine tapferen Sinnsoldaten in ihren Vehikeln. Sichtlich ramponiert von einer unbekannten Größe, die sich aus den absurden Effekten einer mechanistischen Marktwirtschaft zusammensetzt und mit ihrer Willkür jede übergeordnete Schicksalsinstanz überflüssig macht. Helden und Heldinnen, die eine Menge rauchen, trinken, schweigen. Manchmal reißt ein Schluckauf Löcher in die Stille. Und manchmal fallen ihnen Sätze wie »Die Arbeiterklasse kennt kein Vaterland« aus dem Mund wie anderen Leuten gebrauchte Taschentücher aus der Hosentasche.

Etwa 15 Jahre lang knabberten Kaurismäkis Protagonisten am Leben. Doch seit »Wolken ziehen vorüber« (1996) darf in seinem Kosmos auch mal der Wunsch über das Reale triumphieren und der Himmel in den Autofenstern sogar die Farbe der Hoffnung tragen. Und vielleicht baut der Regisseur nach seiner frühen proletarischen Trilogie (»Schatten im Paradies«, »Das Mädchen aus der Streichholzfabrik«, »Ariel«) diese Wendung ins Konjunktivische eines Was-wäre-Wenn, bei der die Menschen tatsächlich in ihrem kleinen Glück landen, ebenfalls zu einem Dreiteiler aus. Sein jüngster Film sieht jedenfalls nach einem zweiten Teil aus. Und zugleich nach einer Quintessenz von Kaurismäkis gesamtem Schaffen.

Auch »Der Mann ohne Vergangenheit« (Markku Peltola) ist unterwegs. Wohin, weiß er nicht mehr: Bei einem Überfall wird er nicht nur zusammengeschlagen, auch seine Erinnerung wird zerschmettert. Er landet auf einem Schrottplatz. Doch als der Schmerz nachlässt und er die Heilsarmistin Irma (Kati Outinen) trifft, spürt er, dass er angekommen ist. Er zieht in einen freigewordenen Container. Der Vormieter ist im Winter erfroren. Der Mann putzt, richtet sich ein, stellt eine gefundene Jukebox auf und pflanzt Kartoffeln auf einem Flecken Land, zwischen Abwässern und Baggern. Und wenn er mit beiden Händen in der Erde wühlt und mit leicht zusammengekniffenen Augen über die Weite der Müllhalde schaut, sind das Momente, in denen Kaurismäki mit einem Schwenk die Siedler- und Frontierfilme Hollywoods der dreißiger und vierziger Jahre in seinen Film holt. Ihre Freiheitsmythen und Zivilisationseuphorie topft er einfach um in ein filmisches Niemandsland. Hier riecht die Erde nicht nach Freiheit, sondern nach alten Autobatterien.

Seine Menschen verlieren sich nicht in einer Cinema-Scope-breiten Landschaft, die es zu kultivieren gilt, sondern im Kreislauf von Produktion und Verschrottung. Selbst die Banken sind Globalisierungsopfer, und Unternehmer müssen ihre eigenen Konten mit gezückter Pistole plündern, um ihren Arbeitern den letzten Lohn auszahlen zu können. Die Welt ist eine Karte über dem Schreibtisch der Heilsarmee. Sie mag ein Dorf geworden sein, doch es muss ziemlich weit weg liegen.

Auch andere Passagen im »Mann ohne Vergangenheit« sind dem Kino der großen Gesten und der übervollen Gefühle entlehnt, um sie in bewährter Verdichtung und mit präzisem Minimalismus an der Hässlichkeit des Kaurismäki-Universums zu brechen. Die Geste etwa, mit der sich Kati Outinen nach Markku Peltolas Abschiedskuss an die Wange fasst, wie sie im Helldunkel des Melodramas »Du hast mir einen Kuss gestohlen« sagt. Im gleichen Ton wird sie später seine lausige Kochkunst loben: »Die Erbsen waren gut.« Und dann wird Peltola sich verlegen am Kopfverband kratzen und sich noch eine Zigarette drehen.

Mit Peltola hat sich Kaurismäki nach Matti Pellonpääs viel zu frühem Tod – sein Foto hängt zum Gedenken über einem Tresen – ein neues Gesicht ins Ensemble geholt. Eines, das der Figur des Gedächtnislosen die Züge eines in die Jahre gekommenen tough guys verleiht. Eines Gangstertypus, der seine immer schon feststehende Niederlage gegen den Staat und die Verhältnisse mit einem Hauch von Tragik und einer gewissen Größe auch im Niedergang versehen kann.

Doch eine Müllkippe taugt nicht zum Asphaltdschungel und als der »Mann ohne Vergangenheit« seine Qualitäten als Musikmanager entdeckt, führt er keinen Frank Sinatra, sondern die Heilsarmee-Combo zu ungeahnten Erfolgen. »Musik hat schließlich noch nie jemanden getötet«, fasst die Frontfrau entsprechend schlicht die Verträglichkeit von religiöser Mission und weltlichen Mitteln zusammen. Und Musik ist neben aller Komik für Kaurismäki auch hier das effektivste Mittel, um sich gegen das Pittoreske und das Didaktische eines Sozialdramas zu stemmen. Nicht zufällig steht in jeder Ecke ein Radio, aus dem ein Potpourri aus Rockmusik, finnischen Balladen und langwierigen Chansons dudelt. Wie eine vorzeitliche Stammestrommel, die den Menschen vom Schrottplatz von der Welt da draußen ein Lied singt. Neuerdings auch von der Liebe, die alles überwindet, von Menschen, die ihr altes Leben verloren haben und ab jetzt nur noch gewinnen können.

Nach »Juha« (1998), »dem letzten Stummfilm des 20. Jahrtausends«, in dem Kaurismäki Worte, Farbe, Effekte und eigentlich »alles bis auf die Bilder« abschaffte, entschied sich der Regisseur, wie er im Presseheft zitiert wird, »zur Umkehr und machte diesen Film hier, in dem es jede Menge Dialoge gibt und eine Vielzahl verschiedener Farben – ganz zu schweigen von anderen kommerziellen Werten.« Eine »Umkehr«, die ihm nicht nur eine Oscar-Nominierung einbrachte. Kati Outinen erhielt in Cannes den Preis für die beste Darstellerin und Kaurismäki, der seit über 20 Jahren an seinem wunderbar eigenwilligen, liebevollen und komischen Realismus arbeitet, den Großen Preis der Jury. Die erste, wichtige internationale Auszeichnung für den Finnen. Und das wurde auch Zeit.

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